"Oi, bispo"

Der in Vorarlberg geborene Bischof Erwin Kräutler erhält den Alternativen Nobelpreis. Foto:Ingrid Ionian
Der in Vorarlberg geborene Bischof Erwin Kräutler erhält den Alternativen Nobelpreis. Foto:Ingrid Ionian

Der aufrechte Gang ist seine Lebensweise: Erwin Kräutler, österreichischbrasilianischer Bischof, kämpft seit Jahrzehnten unter Einsatz seines Lebens für die Rechte indigener Völker und gegen den Raubbau an der sensiblen Amazonas-Region. Die Menschen verehren den streitbaren Geistlichen, die Right Livelihood-Organisation zeichnet ihn nun mit dem Alternativen Nobelpreis aus.

Von Martin Link

Ob am Flughafen, in den Straßen des Bischofssitzes in Altamira im Bundesstaat Para, in einer der Kirchen oder bei den Menschen in den insgesamt 840 Gemeinden: Kaum tritt Dom Erwin Kräutler – meist sehr leger gekleidet – auf, ist er auch schon unter der Menschen. „Oi bispo“, rufen sie dem überaus beliebten Kirchenmann zu, ganz so, als ob der Priester aus Vorarlberg immer schon einer von ihnen gewesen wäre. Sein Einsatz für die Rechte der indigenen Bevölkerung, für die landlosen Bauern und verarmte Kleinlandwirte, aber auch sein Engagement gegen die Interessen von Großgrundbesitzern und Großkapital hat den 71-Jährigen tief in das Bewusstsein und auch die Herzen der Menschen in Brasiliens flächengrößter katholischer Diözese eingeprägt. Umso mehr, als ihr Dasein nunmehr durch seine Auszeichnung mit dem Alternativen Nobelpreis weltweite Aufmerksamkeit erfährt. „Die Auszeichnung kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt“, freut sich Erwin Kräutler insbesondere deshalb, weil damit auch sein Kampf gegen das gigantomanische Staudammprojekt Belo Monte explizit gewürdigt wird.

            Aufgewachsen ist der Preisträger freilich in einer Region, die kaum unterschiedlicher sein könnte als die üppige Regenwaldregion: Kräutler stammt aus der Vorarlberger Gemeinde Koblach nahe Feldkirch, studierte aber nach Matura und Eintritt in die Kongregation der Missionare vom Kostbaren Blut in Salzburg Theologie und Philosophie. Noch im Jahr seiner Priesterweihe 1965 ging er ins brasilianische Amazonasgebiet. 45 Jahre im Einsatz für und mit Verarmten und Entrechteten sollten Kräutler persönlich prägen, aber auch zu einer Symbolfigur innerhalb der Katholischen Kirche machen. Seine Positionen sind dabei klar: Da mag der Vatikan die Befreiungstheologien abschrieben und ihre prominentesten Vertreter zum Kniefall vor dem Papst zwingen, beharrt Erwin Kräutler immer wieder: „Dass die Befreiungstheologie tot sei, ist ein kompletter Unsinn. Unter Befreiungstheologie verstehe ich jene Theologie, die aus einem Gottesverständnis geboren worden ist. Es geht um jenen Gott, der gesagt hat, ich habe den Schrei meines Volkes gehört. Er sagt es zweimal.“


Einsatz mit persönlichem Risiko

Den Schrei des Volkes hören – diesen Auftrag nimmt Kräutler in christlichem Sinne wörtlich und mit jedem persönlichen Risiko an. Unbeirrt setzt er seinen Einsatz fort, obwohl er immer wieder mit dem Umbringen bedroht worden ist. Mehr noch – zum Opfer von Mordanschlägen wurde: So wurde Kräutler 1987 bei einem als Autounglück getarnten Anschlag schwer verletzt, schon 1983 hatte er traurige Bekanntheit erlangt, nachdem er wegen seiner Teilnahme an einer Solidaritätskundgebung von der brasilianischen Militärpolizei festgenommen und verprügelt worden war.

            Für die Rolle eines Märtyrers taugt der ausgezeichnete Priester dennoch gar nicht. „Den Preis sehe ich nicht nur als Anerkennung meines Engagements, sondern auch für alle jene Menschen, die diesen Weg mit mir gehen“, betont Kräutler. Und fügt hinzu: Der Einsatz für die indigenen Völker, für die Menschenrechte und die Menschenwürde in Amazonien sei damit international anerkannt worden. Während also andere über den katholischen Schriften Exegese betreiben und sich insbesondere in Moral- und Lebensfragen mitunter haarsträubend lebensfern zeigen, setzt Dom Erwin auf die praktische Umsetzung der Kernbotschaft des Neuen Testamentes. „Wenn ich überlege, was meine Aufgabe ist, ist das der Einsatz für die Menschen, denen es weniger gut geht. Wegen einer verschwindend kleinen Mafia, die mir nach dem Leben trachtet, kann ich nicht Tausenden Menschen den Rücken zudrehen.“ Er sei absolut überzeugt, dass das Volk, mit dem er seit viereinhalb Jahrzehnten gemeinsam lebt, voll hinter ihm stehe.

            Enthusiasmus und Realitätssinn vertragen sich im Denken und Fühlen des engagierten Nobelpreisträgers. So sieht er die wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Entwicklung in Brasilien in den vergangenen Jahren trotz der Reformpolitik des sozialdemokratischen Ex-Präsidenten Lula da Silva einerseits betont kritisch, andererseits stellt er einen gewissen Emanzipationsprozess fest. „Die Indianer haben viel mehr Selbstvertrauen, viel mehr Selbstbewusstein. Vor 30 oder 40 Jahren hätten die Indios vielleicht nicht den Mut aufgebracht, für ihre Rechte zu kämpfen.“ Unterstützt werden diese Bemühungen indirekt auch dadurch, das die Rechte der indigenen Bevölkerung seit 1988 Teil der Verfassung Brasiliens sind.

            Wie prekär die gesellschaftliche Stellung, aber auch die Lebensbedingungen weiter Teile der Amazonas-Bevölkerung freilich immer noch sind, zeigt das Riesenkraftwerksprojekt Belo Monte, dem bis zu 20.000 Menschen weichen und unwiederbringlicher Naturraum zum Opfer fallen könnte. Kompromissmöglichkeiten zwischen den Interessen des Großkapitals und den Menschen in der Region sieht Kräutler daher nicht: „Ich würde nie von einem Kompromiss reden. Es geht um den Respekt, den die Menschen verdienen. Es geht um ihr Land und ihre Heimat.“

 

 

 

Die bessere Alternative

Seit 1980 wird jährlich der Alternative Nobelpreis zumeist an vier Preisträger vergeben, die sich mit „praktischen Methoden für ein menschenwürdigeres Leben“ einsetzen, wie es in den Kriterien der Right Livelihood-Organisation heißt. Ins Leben gerufen hat die Institution der schwedisch-deutsche Philanthrop und Philatelist Jakob von Uexküll. Ihm erschienen die traditionellen Nobelpreise zu sehr von westlichen und konservativen Preisträgern dominiert. Seinen Vorschlag, einen neuen Nobelpreis unter ökologischen Gesichtspunkten zu vergeben, lehnte das Nobelpreis-Komitee ab, woraufhin Uexküll seine ererbte, wertvolle Briefmarkensammlung verkaufte und mit dem Erlös daraus eine Stiftung gegründet hat.

            Eine international besetzte Jury entscheidet, wer den Preis – dotiert mit umgerechnet insgesamt 216.000 Euro oder zwei Millionen schwedische Kronen - bekommt. Prominente Preisträger bisher waren unter anderem die kenianische Umweltschützerin und Frauenpolitikerin Wangari Maathai, die schwedische Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren oder Mick Jaggers Ex-Ehefrau Bianca Jagger. Österreichische Preisträger vor Bischof Erwin Kräutler waren der Philosoph Leopold Kohr (Hauptwerk: „Small is beautiful“) und der Pionier der Friedens- und Umweltbewegung Robert Jungk („Heller als tausend Sonnen“).

 


Gegen die Mächtigen

Erwin Kräutler scheut nicht davor zurück, sich mit mächtigen, staatsnahen Gegnern anzulegen. Besonders deutlich wird das bei seinem Kampf gegen das Wasserkraftprojekt Belo Monte an einem Seitenarm des Amazonas. Geht es nach den Plänen des brasilianischen Umweltministeriums, des Bergbau- und Energieministeriums sowie der staatlichen brasilianischen Stromversorgungskonzerne Elektronorte und Eletrobras, soll der Fluss im Rahmen des Projektes AHE über drei Talsperren zu zwei Stauseen in der Gesamtgröße des Bodensees aufgestaut werden. Intergriert ist ein Wasserkraftwerk mit einer Leistung von elf Gigawatt, das leistungsmäßig drittgrößte Kraftwerk der Welt. Es soll die Energie für das wirtschaftliche Wachstum des Schwellenlandes Brasilien liefern, insbesondere für die stromintensive Aluminium-Herstellung. Umweltschützer befürchten massive Auswirkungen auf das sensible Ökosystem und das Aussterben dutzender Tierarten, zudem müssten mehr als 20.000 Menschen umgesiedelt werden. Gerade jetzt, in der entscheidenden Phase des Projektes, empfinde er die Auszeichnung mit dem Alternativen Nobelpreis als besonders hilfreich, betont der streitbare Bischof.

 

 

Der Autor: Martin Link ist Journalist mit den Schwerpunktthemen Wirtschaft, Gesundheit und Medizin in Graz. Er ist Chefredakteur der Wirtschaftsnachrichten und arbeitet für diverse Medien.

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