Allergie-Frust statt Frühlings-Lust

In den nächsten Wochen beginnt die Natur wieder zu blühen und macht damit großen und kleinen Allergikerinnen und Allergikern das Leben schwer. Foto: Claudia Feiertag
In den nächsten Wochen beginnt die Natur wieder zu blühen und macht damit großen und kleinen Allergikerinnen und Allergikern das Leben schwer. Foto: Claudia Feiertag

 

„Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“: Der deutsche Dichter Eduard Friedrich Mörike fand den Beginn der neuen Jahreszeit romantisch. Bei vielen Menschen jedoch löst der Frühlingsanfang ganz andere Reaktionen aus. Pollenflug heißt Allergiealarm.

 

Von Berit Freutel

Wenn die Sonne nach dem rauen Winter wieder an Kraft gewinnt und die laue Frühlingsluft sanft die Nase kitzelt, so ist das für die meisten Menschen ein herrliches Gefühl. Tief einatmen – das Leben spüren. Vielen vergeht die Freude aber spätestens dann wieder, wenn der Gaumen juckt, die Augen tränen, die Nase schwillt und der Körper von Niesattacken geschüttelt wird. Allergiker, die auf Pollen mit Heuschnupfen reagieren, sind in der Blütezeit nicht zu beneiden. Statt den Lenz zu genießen hofft fast jeder fünfte Europäer, dass der Frühling mit samt seiner Knospenpracht schnell vorübergeht.  Doch selbst wenn Birke, Hasel und Flieder verblüht sind, gibt es für viele Schniefnasen keine Entwarnung: Sie müssen nämlich ihren Speiseplan im Auge behalten, um lästigen, oft gefährlichen Symptomen aus dem Weg zu gehen. Die Zahl der Pollenallergiker, die auch auf Nahrungsmittel allergisch reagieren, hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. „Von einer so genannten Kreuzallergie spricht man, wenn der Körper nicht nur auf ein Allergie auslösendes Protein reagiert, sondern auch auf ähnliche allergene Proteine anderer Arten“, sagt Heimo Breiteneder vom Zentrum für Physiologie und Pathophysiologie an der Medizin-Uni Wien. So können Allergene verschiedener Pflanzen- oder Tierarten, die vermeintlich nichts miteinander gemein haben, die gleiche Allergie auslösende Struktur besitzen, zum Beispiel Allergene aus Birkenpollen und Apfel oder aus Hausstaubmilben und Garnelen. Eine Kreuzallergie ist somit immer die Folge einer bereits vorhandenen Allergie. Aber wer denkt schon an eine allergische Reaktion, wenn jemand beim Kiwischälen plötzlich Niesanfälle bekommt? Und doch: Ein bestimmtes Protein in der Kiwi ähnelt dem Hauptallergen der Birkenpollen.

 

Für Allergiker ist diese Ähnlichkeit fatal: „Die Beschwerden beginnen typischerweise direkt nach dem Essen“, sagt Christoph Ebner, Leiter des Allergieambulatoriums am Wiener Reumannplatz. Meist jucken Mund, Zunge, Rachen und Lippen. Schwellungen im Mundbereich, Heiserkeit und Schwindel, Augenjucken und Fließschnupfen sind ebenfalls Anzeichen einer allergischen Reaktion. Manchmal sind sogar Atmung, Haut und Verdauung betroffen, im schlimmsten Fall kommt es zum allergischen Schock.

 

Die pollenassoziierten Nahrungsmittel-Allergien gehören zu den am weitesten verbreiteten überhaupt. „Vor 15 Jahren litten rund 17 Prozent der Heuschnupfenpatienten auch an Nahrungsmittelallergien. Heute sind es knapp 60 Prozent“, sagt Ebner. Die am besten untersuchten Kreuzallergene sind die der Birkenpollen. Hierzu zählen vor allem Allergien auf Apfel, Pfirsich und Kirsche sowie auf die Haselnuss. Menschen, die mit Heuschnupfen auf Gräserpollen reagieren, entwickeln oft Empfindlichkeiten gegen Karotten, Kartoffeln, Erdnüsse und Kiwis. Viele Menschen sind auch gegen Sellerie überempfindlich. Vor 25 Jahren hat der Züricher Allergologe Brunello Wüthrich zum ersten Mal eine Allergenverwandtschaft erkannt, die er als „Sellerie-Karotten-Beifuss-Gewürz-Syndrom“ beschrieb. Wer daran leidet, hat es besonders schwer, denn Sellerie ist Geschmacksträger in sehr vielen Produkten - von Suppenwürfeln über Gemüsezubereitungen bis hin zum Kräutersalz.

 

Auch Frühlingsgefühle können gefährlich sein

Neben den Pollen können auch Frühlingsgefühle den Allergikern gefährlich werden. Eine Nahrungsmittelallergie kann nämlich sogar durch Küssen ausgelöst werden: Wüthrich beschreibt den Fall einer jungen Frau, die seit zwölf Jahren unter einer Pollenallergie litt und nach dem Genuss von rohen Äpfeln, Karotten, Sellerie und Haselnüssen stets mit Juckreiz an Lippen, Zunge und Gaumen reagierte. Obwohl sie diese Speisen mied, passierte es eines Tages trotzdem: Nach einem innigen Kuss ihres Freundes schwollen Zunge und Lippen massiv an. Der Grund: Der Geliebte hatte unmittelbar vor dem Treffen einen Apfel gegessen. Auch die Liebe zum Ausgehen kann Allergiker in Gefahr bringen: In einer schwedischen Untersuchung an 1129 Patienten mit Nahrungsmittelallergie reagierten 13 Prozent schon dann, wenn sie in einem Restaurant in der Nähe von Personen saßen, die das entsprechende Obst oder Gemüse aßen. 17 Prozent bekamen allergische Symptome, wenn sie sich in einer Küche aufhielten, in der Auslöser verkocht wurden.

 

Immer mehr Betroffene öffnen sich alternativmedizinischen Ansätzen: „In der TCM kennt man keine Allergien“, sagt Andrea Zauner-Dungl, Leiterin des Zentrums für Chinesische Medizin und Komplementärmedizin an der Donau-Universität Krems und Mitglied im lebensweise-Fachbeirat. „Man behandelt vielmehr die Symptome wie Schleim und Schwellungen.“ Beide zeugen von Hitzespeicherung im Körper, was zu einer Verminderung beziehungsweise einem Mangel an Lebensenergie führt.“ Akupunktur hilft: „Zu den Maximalzeiten im Frühling wird die Allergie gezielt behandelt, im Herbst geht es dann darum, das System zu stärken“, sagt Zauner-Dungl. Dabei sei es sehr wichtig, individuell auf den Patienten einzugehen: „Bei Augenschwellungen behandelt man den Leber-Gallenblasen-Meridian und bei Atemwegsbeschwerden eher den Lungen-Milz-Meridian.“ Generell empfiehlt die chinesische Medizin bei Allergien Milchprodukte, Süßes und Weizenprodukte zu meiden. Behandlungen mit chinesischen Arzneikräutern können helfen.

 

Auch in der Homöopathie richtet man sich nach den Beschwerden: „Der Vorteil gegenüber der Chemie ist, dass die Mittel ursachenbezogen sind“, sagt Walter Glück, Arzt für Allgemeinmedizin, Homöopathie und Buchautor. Immer öfter ist von der pflanzlichen Substanz Galphimia glauca die Rede, die eine positive Wirkung bei Pollenallergikern zu haben scheint. Die Pflanze stammt aus dem brasilianischen Regenwald und wird traditionell gegen asthmatische Beschwerden und Allergien verwendet. „Die Homöopathie ist jedoch keine Monotherapie bei Allergien, das wäre zu wenig; eine Darmsanierung ist unbedingt zu empfehlen.“ Glück hat allerdings konkrete Tipps, wie man als (noch) Nicht-Allergiker das Auftreten einer Allergie aktiv verhindern kann: „Chemie im weitesten Sinne sollte gemieden werden, um das Immunsystem zu stärken bzw. nicht zu schwächen.“ Will heißen: Neben chemischen Medikamenten und chemisch behandelten Nahrungsmitteln sollte auch auf Elektrosmog (Computer, Handy und Co) so gut es geht verzichtet werden.

 

Die Schwierigkeit bei pollenassoziierten Nahrungsmittel-Allergien sowie klassischen Allergien besteht in der Entlarvung des allergenen Bösewichts. Schließlich können besonders aggressive Allergene in fast allen Blütenpollen und pflanzlichen Produkten versteckt sein. Herauszufinden, um welche Allergene es sich im entsprechenden Fall tatsächlich handelt, erfordert viel Zeit und Geduld. Allergietests helfen nur eingeschränkt bei der Suche nach tatsächlichen Auslösern. Viele Birkenpollenallergiker, die etwa bei einem Bluttest auf Kirschallergene reagieren, entwickeln bei einem Provokationstest überhaupt keine Symptome. Einige Allergiker erleben Kreuzreaktionen auch nur vorübergehend, etwa wenn das Immunsystem anderen Belastungen wie Stress oder Infekten ausgesetzt ist. Welche Lebensmittel, Pflanzen oder Pollen die Betroffenen tatsächlich meiden sollen, zeigt die Erfahrung.

 

Der Darm als Regulator des Bakterienhaushaltes

Immer mehr vor allem alternativmedizinische Ansätze beschäftigen sich mit dem wichtigsten Organ der menschlichen Immunabwehr, dem Darm. „Im Darm leben mehr Bakterien als der ganze Körper Zellen hat“, sagt Hannes Bayer, Gynäkologe in Graz. „Das Verhältnis der guten und schlechten Bakterien bestimmt dabei über unsere Gesundheit.“ Ein Verhältnis von guten und schlechten Bakterien von 1:4 gilt als gesund. Kippt das Gleichgewicht, redet man von einem kranken Darm. Da dieser wiederum das Immunsystem schwächt, haben Allergien oft leichtes Spiel. Bayer: „Hauptgrund für viele Krankheiten ist eine Fehlkolonisation der Bakterien im Darm.“ Experten empfehlen daher nicht primär die Allergiesymptome zu bekämpfen, sondern vielmehr an der Ursache anzusetzen. Bayer: „Spezielle Labors bestimmen das Bakterienverhältnis im Darm; und anhand dieser Diagnose kann der Arzt dann eine individuell maßgeschneiderte Therapie empfehlen.“ Die Therapie besteht in der Regal aus Darmsanierung, etwa mit Eu- und Probiotika, sowie  individuell sinnvollen Ernährungsvorschlägen.

 

„Am sichersten ist es, die gefährlichen Lebensmittel ganz zu meiden“, sagt Molekularbiologe Heimo Breiteneder. Ärzte nennen das Allergenkarenz. Im Fall des guten alten Apfels ist das schwer, weil jeder ihn liebt. Tipp: Auf die Marke achten. Relativ neue Sorten wie Golden Delicious und Granny Smith werden weniger gut vertragen als heimische wie Boskop oder Jamba. Bei manchen Früchten liegen die Allergene auch ausschließlich in der Schale. Grundsätzlich gilt auch: Je naturbelassener ein Nahrungsmittel ist, desto eher kann es eine allergische Reaktion hervorrufen. Da die Allergene von Obst und Gemüse Proteine sind, degenerieren sie gekocht, gebraten oder irgendwie erhitzt. Aber Vorsicht: Manche Gemüsesorten wie Sellerie enthaltene hitzeresistente Allergene.

 

Experten sind sich einig, dass bei einer pollenassoziierten Nahrungsmittel-Allergie in jedem Fall die ursprüngliche Allergie, etwa der Heuschnupfen, unbedingt behandelt werden muss. Wichtig: Um im Falle eines allergischen Schocks gerüstet zu sein, kommt man meist um klassische „Pharmakeulen“ nicht herum: besonders Nuss- und Meeresfrüchteallergiker sollten stets ein Notfallset (Antihistaminika, Adrenalin, Kortison) bei sich tragen. Antihistaminika etwa blockieren die Histaminrezeptoren, indem sie sich anstelle des echten Histamins auf den entsprechenden Zell-Rezeptor setzen. In der Folge kann das Histamin nicht mehr andocken und die Beschwerden lassen nach. So bietet gerade in Notfallsituationen die Schulmedizin oft die einzige Hilfe und andererseits auch sonst durchaus hilfreiche Angebote. Heuschnupfen kann etwa mit einer „Allergie-Impfung“ behandelt werden. Dabei werden dem Patienten in der pollenfreien Zeit sehr geringe Dosierungen der Pollenbestandteile gespritzt, auf die er allergisch reagiert. Ziel ist es, den Körper an die Allergene zu gewöhnen und so auf Dauer dagegen unempfindlich zu machen. Diese Immuntherapie ist eine der wenigen Behandlungen, die sich nicht allein auf Symptom-Linderung beschränkt, sondern die Ursache bekämpft.

 

 


Unverträglichkeiten


Oft handelt es sich bei einer vermeintlichen Allergie lediglich um eine Nahrungsmittelunverträglichkeit. Der Unterschied: Bei Allergien reagiert das Immunsystem des Körpers auf bestimmte Nahrungsmittel mit der Bildung von Abwehrzellen. Bei einer Unverträglichkeit dagegen kann der Körper ganz einfach bestimmte Stoffe aufgrund eines Enzymmangels nicht oder nur schlecht verdauen.

 

Die häufigsten Formen von Lebensmittelunverträglichkeit sind Histamin-, Fructose- (Fruchtzucker) und Laktoseintoleranz (Milchzucker). Michael Wolzt, Facharzt für Innere Medizin an der Uniklinik Wien: „Eine Unterscheidung zwischen Allergie und Unverträglichkeit ist für Laien oft schwierig, aber sie ist essentiell.“ Immerhin: Bei Allergien müssen Betroffene auf  eine Reihe von Lebensmitteln komplett verzichten, bei Unverträglichkeit können die auslösenden Lebensmittel mithilfe von eingenommenen Enzymen doch noch genossen werden.

 

Laktoseintoleranz ist mit bis zu 30 Prozent an Betroffenen die am häufigsten vorkommende Lebensmittelunverträglichkeit in. Dabei liegt ein Mangel am Enzym Lactase vor, das für den Abbau von Milchzucker benötigt wird. Der Verzehr von Milchprodukten rächt sich bei Betroffenen mit Bauchkrämpfen, Blähungen und Durchfall. In Supermarktregalen finden sich immer häufiger laktosefreie Milchprodukte. Der Begriff „laktosefrei“ stimmt jedoch nicht ganz. Genau genommen wurde den Produkten einfach das Enzym Laktase zugesetzt. Dadurch findet der entscheidende Umbauprozess, der normalerweise erst im Dünndarm abläuft, bereits im Produkt statt: Milchzucker wird in die verträglichen Einfachzucker Glukose und Galaktose gespalten.

 

 

Die Autorin: Berit Freutel hat 18 Jahre Erfahrung als Beauty-, Fashion- und Lifestyle-Journalistin in Deutschland, Österreich u.a. für Kurier, News, Wiener, Hitradio Ö3, ATV und SAT1 Österreich.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Steve (Montag, 14 März 2011 17:19)

    Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Leider fühle ich mich angesprochen, da ich unter der sogenannten Laktoseintoleranz leide. Die Pollen, die jetzt im Anflug sind, bereiten mir zusätzlich Probleme, so dass ich mich nicht so recht auf die Jahreszeit freue. das einzig Gute ist,dass die Chance steigt, sich neu zu verlieben.