Würdevoller letzter Weg

Der Sterbeprozess verläuft laut Elisabeth Kübler-Ross nicht linear, sondern in mehreren Schritten. Jeden diesen Schritt gilt es professionell zu begleiten.  Foto: Krankenhaus Göttlicher Heiland
Der Sterbeprozess verläuft laut Elisabeth Kübler-Ross nicht linear, sondern in mehreren Schritten. Jeden diesen Schritt gilt es professionell zu begleiten. Foto: Krankenhaus Göttlicher Heiland

  

Es erfolgt zumeist unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Doch Sterben soll man nicht allein. Wie schwierig allerdings der richtige Umgang mit dem Tod eines Menschen ist, belegen die vielen Begleitmethoden, die sich im Lauf der Zeit in verschiedenen Kulturen gebildet haben. Für viele sind das Frühjahr oder Ostern zentrale Zeitpunkte. Eine Geschichte von Ende und Neubeginn.

Von Berit Freutel und Sigrit Fleisz

Anna war gerade ein Jahr alt, als ein unheilbarer Tumor in ihrem Gehirn diagnostiziert wurde. Mit Hilfe intensiver Therapien schaffte es das Mädchen tapfer über mehrere Jahre, den weiteren Fortschritt der Erkrankung zu verhindern. Sie führte mit ihren Eltern und ihrem Bruder Tom ein fast normales Leben, als plötzlich wieder Komplikationen auftraten. Der Tumor wuchs unaufhörlich und eine Operation war unmöglich geworden. Auf Wunsch der Eltern sollte Anna zu Hause sterben dürfen. „Wir wollen auch Tom in der Zeit des Abschiednehmens von seiner Schwester liebevoll begleiten, Aufmerksamkeit und Zuwendung geben, die er in dieser schweren Zeit braucht. Anna soll keine Schmerzen erleiden. Wir müssen auf unsere Grenzen als Eltern achten, damit wir die Kraft haben, diesen Weg gemeinsam mit unseren Kindern zu gehen“, schildert die Mutter.

 

Geburt und Tod bilden Anfang und Ende unseres Daseins. Doch zu den großen Herausforderungen zählt der Umgang mit dem Verlust eines geliebten Menschen. Jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens ein erstes Mal mit dem Sterben eines Angehörigen konfrontiert. Dem finalen Schnitt geht häufig eine qualvolle Phase des Wartens voraus. Für alle Betroffenen stellt diese Zeit eine emotionale Gratwanderung dar. Viele Menschen verfallen in eine Lähmung, sind unfähig mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Ein Wechselbad der Gefühle von Ohnmacht, immer wieder aufkeimender Hoffnung, Unsicherheit und nicht zuletzt der Angst, die Situation nicht meistern zu können, begleitet sowohl Betroffene als auch Partner, Verwandte und Freunde. Professionelle Hilfe ist für Angehörige und Sterbende in dieser Situation unumgänglich. Doch häufig fehlen Mittel ebenso wie Möglichkeiten. Nicht zuletzt, weil das Thema des Todes in unserer Gesellschaft ein Tabu ist. Das führt soweit, dass selbst die Betroffenen nicht loslassen können und die Zeit bis zum Abschied als Krise erleben.

 

Weiter leben auf einer anderen Ebene

Elisabeth Kübler-Ross, Begründerin der Sterbeforschung, subsumierte 2002, zwei Jahre vor ihrem eigenen Tod: „Heute bin ich sicher, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Und dass der Tod, unser körperlicher Tod, einfach der Tod des Kokons ist. Bewusstsein und Seele leben auf einer anderen Ebene weiter. Ohne jeden Zweifel.“ Die Schweizer Ärztin und Initiatorin der weltweiten Hospiz-Bewegung hatte sich in unzähligen Interviews sterbenden Menschen genähert, um von ihnen zu lernen, welche Bedürfnisse im Vordergrund des menschlichen Bewusstseins stehen (siehe Seite 38). Im Evangelischen Krankenhaus in Wien belegte jüngst eine von der Webster University Vienna initiierte Studie, dass die Methode des Befriendings – das bedeutet: Laien helfen Laien – den Menschen das Gefühl zunehmender Isolation nimmt beziehungsweise erleichtert. Der Fokus dieser Studie richtete sich auf die Empfindungen und Gefühle der Patienten und der in diesen Besuchsdienst eingebundenen Personen. Dieses Service der Johanniter Hilfsgemeinschaft wurde vor rund fünf Jahren im Evangelischen Krankenhaus eingeführt. Die Betreuung von Menschen, denen es in ihrer Ausnahmesituation schwer fällt, mit den eigenen Angehörigen – so überhaupt vorhanden – über ihre Situation zu sprechen, stellt ein zeitliches Problem für Ärzte und Pflegepersonal dar. Marlies Burkhard, Leiterin der Untersuchung: „In Amerika und England hat sich die Betreuung durch Laien bewährt. Vor allem die Tatsache, dass jemand da ist und einfach nur zuhört, ermöglicht Betroffenen die Aufarbeitung ungelöster familiärer oder anderer psychischer Problemstellungen.“

 

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Gustav S. atmet flach. Sein Mund bewegt sich wie in Zeitlupe. Lautlose Worte drängen unaufhörlich heraus, er scheint sich in einem inneren Zwiegespräch zu befinden. Mit Gott, mit seinen Eltern, seiner Partnerin? Seit der ersten Diagnose seines Prostatakarzinoms sind zehn glückliche Jahre vergangen, bis es zum entscheidenden Rückfall kam. Seine Frau sitzt einfach nur da, hält seine Hand. Und das seit Tagen, stundenlang. „Eine menschliche Präsenz im Raum ist im letzten Stadium das Wichtigste, vor allem, wenn Patienten in ihren letzten Stunden eine starke innere Unruhe plagt“, sagt Anna Pissarek, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit des Dachverbandes Hospiz Österreich. „Zeit dafür haben eigentlich nur die ehrenamtlichen Mitarbeiter der jeweiligen Institutionen und die engsten Angehörigen.“ Zehn bis 20 Prozent aller sterbenden Menschen sind auf die Dienste eines Hospizes angewiesen. „Wir arbeiten intensiv daran, die mobilen Dienste stärker auszubauen“, sagt Anna Pissarek. „80 Prozent der Menschen wollen zu Hause sterben, und das soll ihnen auch ermöglicht werden.“

 

Hochkomplexe Fälle werden in den Palliativstationen von Krankenhäusern medikamentös eingestellt. Ihre Versorgung wird dort rund drei Wochen lang finanziert, Palliativstationen hängen an der Regelung des jeweiligen Landes. In der Steiermark läuft 2012 ein dreijähriges innovatives Pilotprojekt, das zur Gänze vom Land gefördert wird, aus. Palliative Care ist nach Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO die umfassende, ganzheitliche Betreuung von Menschen, die an einer unheilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden. Zielsetzung ist die Erhaltung der Lebensqualität bis zuletzt. Die individuelle Betreuung übernimmt ein multiprofessionelles Team, bestehend aus speziell qualifizierten Ärzten, Pflegepersonen, Sozialarbeitern, Psychologen, Therapeuten und Seelsorgern; ehrenamtlich Tätige und Angehörige werden in die Betreuung miteinbezogen.

 

Hospiz Österreich ist der überparteiliche und überkonfessionelle Dachverband der Ende 2009 gezählten 247 Hospiz- und Palliativeinrichtungen – um rund 12 Einrichtungen mehr als 2008 (im Vergleich zu damals kamen zusätzlich fünf Hospizteams, drei Palliativkonsiliardienste, zwei Palliativstationen und zwei stationäre Hospize hinzu). Gegründet 1993, setzt er sich für die Umsetzung der flächendeckenden, abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung sowie deren langfristig gesicherte Finanzierung ein, damit Hospiz- und Palliativversorgung für alle Menschen, die es brauchen, erreichbar, zugänglich und leistbar ist. Die Sicherung der Lebensqualität bis zuletzt für schwer kranke und sterbende Menschen, ein Sterben in Würde, Autonomie und weitgehender Schmerzfreiheit sollen weitgehend gewährleistet werden (www.hospiz.at).

 

Ein Sterben in fünf Phasen

Sterbebegleitung beginnt mit dem Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient und endet mit dem Tod des Patienten. Der Sterbeverlauf wurde von Elisabeth Kübler-Ross erstmals nach fünf Phasen definiert: Er entwickelt sich von anfänglichem Nichtwahrhabenwollen und einer daraus resultierenden Isolierung über Zorn, Verhandeln und Depression schließlich bis hin zur Akzeptanz. Dieser Ablauf stellt alle Beteiligten vor eine hohe psychische und emotionale Belastung. Alle Phasen durchzieht dennoch das Thema „Hoffnung“. In der aktiven Sterbebetreuung ist es Aufgabe der Angehörigen, Pflegenden und der Ärzte, diese lebendig zu erhalten. Ausbildungen zur Sterbegleitung werden von kirchlichen und sozialen Verbänden angeboten, etwa von der Caritas, dem Malteser-Hilfsdienst, der Diakonie und der Johanniter-Unfall-Hilfe. Die meist ehrenamtlichen Sterbebegleiter erhalten von den jeweiligen Verbänden zunächst eine gründliche Vorbereitung auf ihren Dienst.

 

Der Frage, wie der Mensch in die Naturkreisläufe über Ritual und Lebensübergänge wieder miteinbezogen wird, geht die Lehre Meredith Littles nach. „Zusammen mit dem eigenen persönlichen Mythos wollen wir zwei verwandte Welten erkunden: die wachsende Weisheit der modernen Hospiz–Bewegung und die uralte, kulturübergreifende Weisheit der Naturvölker“, sagt Little. Gemeinsam mit ihrem 2003 verstorbenen Mann Steven Foster gründete sie 1977 die Rites of Passage Inc. und 1981 The School of Lost Borders. Dort leisteten sie Pionierarbeit für Verfahren und Wirkungsweisen von pankulturellen Übergangsriten in der Wildnis und angewandte Naturtherapie. Der übergreifende nachhaltige Ansatz sucht einen Brückenschlag zwischen zwei konträren Welten: „Die eine geht aus der Begleitung von Kranken und Sterbenden hervor, die andere aus einem Leben nahe an den Jahreszeiten und Kreisläufen von Sterben und Wiedergeburt“, erklärt Meredith Little, die regelmäßig auf Einladung ihrer Österreichischen Schüler Franz Redl und Claudia Pichl auch nach Österreich kommt (www.wilderness.at).

 

Wiedergeburt in drei Zwischenzuständen

Das tibetische Totenbuch, eine Schrift aus dem 8. Jahrhundert, geht auf den Begründer des tibetischen Buddhismus zurück. Es enthält Unterweisungen über den Prozess des Sterbens und die Wiedergeburt in drei Zwischenzuständen sowie die Möglichkeit, aus diesem Kreislauf auszubrechen, und mündet in die Vorstellung der Reinkarnation (Wiedergeburt), auch als ein anderes Lebewesen. „Es geht darum, dass der Mensch bis zur letzten Sekunde Erfüllung erfährt“, sagt die in Wien arbeitende Ärztin und lebensweise-Fachbeirätin Sathya Alessandra Bernhard bin Saîf. „Nur so kann der Sterbende wirklich loslassen.“ Wichtig sind dabei die unterschiedlichen Entwicklungsstadien eines Menschen. Je nachdem ist es wesentlich zu erforschen, welche wichtigen Passagen der Patient verabsäumt hat, um seinen Seelenfrieden finden zu können. Situationen können anschließend nachgeholt oder im Gespräch gelöst werden. Frei nach dem Motto des Psychologen Ben Furman: Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben.“

 

Ritual für die Trauerarbeit der Hinterbliebenen

Das tibetische Sterbebuch stellt ein Ritual für Hinterbliebene zur Trauerbewältigung bereit: 40 Tage lang soll der Tote begleitet werden, damit sich seine Seele lösen kann. „Ich helfe mit Selbstreinigungsprozessen, Ritualen und Gesprächen allen Menschen, die offen dafür sind.“ Bernhard bin Saîf studierte mongolisch-tibetisch-buddhistische Psychologie, Philosophie und Medizin. Sie lebt und arbeitet als Ärztin nach der traditionellen tibetischen Medizin in Wien, hat bereits einige Bücher veröffentlicht und versteht sich als Brückenbauerin zwischen östlicher und westlicher Kultur und Tradition (www.archetype.in).

 

Viele Rituale ferner Kulturen zielen darauf ab, den Hinterbliebenen den Abschied zu erleichtern. Witwen tragen den Schädel ihres verstorbenen Mannes mit sich; beim Stamm Azande im Nordosten Kongos wird regelmäßig ein Teller mit Essen zur Grabstelle serviert. Die Yanomami am oberen Orinoco bestatten Verstorbene zweimal: Zuerst wird der Tote verbrannt, dann werden die Knochen aufgelesen und aufbewahrt, bevor sie nach mehreren Monaten im Rahmen eines Festes zermahlen, im Bananenbrei verrührt und gemeinsam verzehrt werden. „Die Jenseitskonzeptionen und damit verbundenen Rituale dienen nicht nur dem Sterbenden bei der Bewältigung seiner Todesangst, sondern sind auch wichtige Hilfen zur Verarbeitung der Trauer für die Hinterbliebenen“, sagt der Ethnomediziner Armin Prinz, Präsident der Österreichischen Ethnomedizinischen Gesellschaft und Mitglied im lebensweise-Fachbeirat. „Der harmonische Umgang mit Sterben und Tod ist daher auch Zeichen für eine gesunde Gesellschaft.“ In unseren Breiten wird der Leichnam nicht mehr wie früher üblich aufgebahrt, sondern sofort entfernt. Experten sprechen vom „verschwiegenen Tod“.

 

Abschied nehmen ist so wichtig

Dabei wäre Abschied nehmen so wichtig. „Besonders Kindern nimmt unsere Kultur so die Möglichkeit, mit dem Tod natürlich umzugehen und ihn als Teil des Lebens zu sehen, stattdessen wird die Angst vor dem Tod geschürt“, kritisiert Armin Prinz. Wenn sich abzeichnet, dass keine Heilung mehr möglich ist, ist es ein Bedürfnis von Kindern und Eltern, in den letzten Stunden gemeinsam zu Hause sein zu können. Damit dieser Wunsch in Erfüllung geht, ist einiges notwendig: die intensive Kooperation aller betreuenden Dienste und Einrichtungen, von denen noch zu wenige existieren, und vielfältige Unterstützungsleistungen. Diese reichen von der Umsetzung medizinischer und pflegerischer Therapien, um eine optimale Schmerztherapie und Linderung belastender Krankheitssymptome zu erreichen, bis hin zu individuell auf die Familie abgestimmte Hilfen zur Alltagsbewältigung.

 

Versorgung von Kindern und Jugendlichen

„Die Begleitung der gesunden Geschwisterkinder ist ebenso ein zentrales Anliegen in der Begleitung der Familien. Schon bestehende Initiativen beruhen oft auf privatem Engagement, gesicherte Bedarfszahlen und Strukturpläne gibt es bis jetzt noch nicht“, sagt Anna Pissarek vom Dachverband Hospiz Österreich. Im Rahmen des „Kindergesundheitsdialoges“, vom Gesundheitsministerium ins Leben gerufen, um die medizinische, pflegerische und therapeutische Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, wurde deshalb Kinderhospizarbeit und pädiatrische Palliative Care als wichtiges Thema in den Diskussionsprozess aufgenommen.

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