Für immer und ewig

Schlecht könnte es um Paare stehen, die sich nicht mehr daran erinnern können oder wollen, wie es zwischen ihnen begann. Denn mit einem Mythos stirbt meist auch das, wovon er erzählt: die Liebe. Foto:Gina Sanders/Fotolia.com
Schlecht könnte es um Paare stehen, die sich nicht mehr daran erinnern können oder wollen, wie es zwischen ihnen begann. Denn mit einem Mythos stirbt meist auch das, wovon er erzählt: die Liebe. Foto:Gina Sanders/Fotolia.com

 

Küssen, Händchen halten, heiraten. Nie ist die Liebe schöner als im Mai – heißt es. Denn Liebe macht glücklich, schön und gesund. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Oder die Wissenschaft. Oder die Sterne. Denn auf das Herz ist in der rosaroten Phase meist kein Verlass.

Von Berit Freutel

Niemand liebt aus freiem Willen. Das Schicksal ist schuld, sagen die einen. Die Hormone machen willenlos, sagen die anderen. Oder findet man die moderne Liebe im Internet? „Es ist, was es ist“, schrieb Erich Fried und traf damit die Sache vielleicht am ehesten. Obwohl alle von Liebe reden, gibt es kein allgemeingültiges Gesetz, keine Definition, geschweige denn ein Rezept, wie man sie findet, was sie bringt und wie sie hält. Fest steht nur: Die Nachfrage ist groß. Alle wollen Liebe. Für immer und ewig.

 

Anna traf Max vor einem Monat. In den 31 Tagen hat sie 744 Stunden an ihn gedacht oder mit ihm verbracht. Sie hat nicht geschlafen und kaum gegessen. Trotzdem sieht sie umwerfend aus, schwebt auf Wolke Sieben und fühlt sich so lebendig wie noch nie. Ihr gesamtes Leben ist untermalt von sanfter Hintergrundmusik und mit Weichzeichner retouchiert. Wenn Goethe sagt „Liebe belebt“ meint er damit die berühmten Schmetterlinge, die im Bauch an Achterbahnfahrten erinnern. Nüchtern betrachtet sind es natürlich weder bunte Tierchen noch unsichtbare Hollywood-Regisseure, sondern die Hormone Adrenalin und Endorphin, die Annas und Maxs‘ Sinne betören. Max macht eine Überdosis Testosteron mobil, kräftig und mutig und Anna erlebt einen Oxytocin-Flash, der Gefühle wie Verlangen und Glück provoziert und die Bereitschaft zur Treue steigern soll. So weit, so angenehm. Wen kümmert da die Tatsache, dass bei Turteltäubchen die Ausschüttung des Hirnbotenstoffes Serotonin auf Werte sinkt, die man sonst nur bei Zwangserkrankungen findet. Die Psychiaterin Donatella Marazziti von der Universität Pisa vergleicht Verliebte mit Zwangsgestörten, die sich ständig die Hände waschen müssen.

 

Doch verliebt sein will jeder. Ein innbrünstiger Kuss ist nicht nur beflügelnd, sondern hat zumindest im Frühling auch einen praktischen Gesundheitsnutzen. Das erwiesenermaßen gegen Heuschnupfen gewachsene Kraut heißt nämlich Liebe. Der japanische Allergologe Hajime Kimata erfasste die Immunwerte von 48 Allergikern, die eine halbe Stunde lang ihre Partner geküsst hatten, und bemerkte eine deutliche Verbesserung der Symptome, auch bei Dermatitis-Patienten. Eine Studie der Wiener Universitätsklinik zeigt, dass leidenschaftliches Küssen den Blutdruck und die LDL-Cholesterinwerte im Blut senkt. So gesehen sollte die rosarote Brille also unbedingt ein staatlich gefördertes Kassenmodell werden.

 

Was bleibt, ist die Frage nach dem Gesundheits-Kick langjähriger Ehen und Partnerschaften. Wer mit einem fixen Partner lebt, hat meistens auch zu einem regelmäßigen Lebensrhythmus gefunden. Untersuchungen bestätigen dass verheiratete Männer in den westlichen Industrienationen etwa acht Jahre länger leben. Frauen geht es nicht ganz so gut: Unter den Damen mit Ehering am Finger findet man deutlich häufiger Depressionen und Suchterkrankungen als bei Singles. Interessant ist auch, was mit Ehepaaren passiert, wenn sie getrennt werden. Laut einer Studie der Harvard-Universität Boston haben Witwer und geschiedene Männer ein erhöhtes Infarktrisiko. Bei Frauen konnte dieser Effekt nicht beobachtet werden. Ihnen bricht, zumindest medizinisch gesehen, nicht das Herz, wenn der Partner stirbt oder sie verlässt.

 

Eheliche Krankheiten im Gleichklang

So wie sich Eheleute gerne optisch angleichen, neigen sie auch dazu eine ähnliche Krankheits-Karriere einzuschlagen. Das belegt eine Studie der Universität Nottingham, die an über 29.000 Menschen (17.000 davon verheiratet) durchgeführt wurde und vor allem auf schwere Leiden wie Asthma, Depression, Magengeschwür und Schlaganfall fokussierte. „Wer mit einem Partner zusammenlebt, der an einer solchen Erkrankung leidet, muss stärker als andere damit rechnen, diese ebenfalls zu bekommen“, erklärt Studienleiterin Julia Hippisley-Cox. Den Gleichklang der ehelichen Krankheitsgeschichten verursachen meist ein übereinstimmender Lebensstil und dieselben Umweltbedingungen. Wenn einer von beiden raucht, ist oft auch der andere nikotinsüchtig oder raucht zumindest passiv mit. In der Ehe kann sogar Krebs ansteckend sein: Eine Studie der Hadassah-Universität in Jerusalem fand nur wenige Unterschiede zwischen dem Stress von Krebspatienten und dem ihrer Lebensgefährten.

 

Max und Anna denken aber nicht so weit. Sie lieben sich allen Statistiken und Erfahrungen zum Trotz erst mal für immer. Doch die Wahrheit ist: Es gibt keine Garantie für die Ewigkeit. Die amerikanische Liebesforscherin Helen Fisher nähert sich dem Rätsel der Anziehung mithilfe einer groß angelegten Studie. Weltweit befragte die Anthropologin 39.913 Frauen und Männer über ihre Liebes-Vorlieben und glich die gewonnenen Daten mit neuesten Erkenntnissen aus Psychologie, Neurowissenschaft und Genetik ab. Ihr Fazit: „In erster Linie bestimmt unsere biologische Persönlichkeit, in wen wir uns verlieben“, sagt die New Yorker Wissenschafterin. „Der Liebescharakter ist uns zu großen Teilen in die Wiege gelegt.“

 

Konkret heißt das: Das persönliche Temperament wird durch die Sexualhormone Östrogen und Testosteron sowie die Neurotransmitter Dopamin und Serotonin bestimmt. Die Konzentration dieser Stoffe im Körper ist ausschlaggebend dafür, ob wir eher zurückhaltend, abenteuerlustig, romantisch oder bodenständig sind. Ein Mensch mit hohem Östrogenspiegel etwa ist häufig fantasievoll, intuitiv und romantisch. Helen Fisher nennt diesen Charakter „Diplomat“. Den „Gründer“ hingegen macht der hohe Serotoninanteil ausgeglichen, bedächtig und sozial interessiert, er führt gerne lange und beständige Partnerschaften. Der „Entdecker“ wiederum ist von Natur aus mit einer Mega-Dosis des Motivations-Botenstoffs Dopamin ausgestattet, liebt das Abenteuer und lässt sich häufig scheiden. Der „Regisseur“ übernimmt Verantwortung und gibt getrieben durch das Dominanzhormon Testosteron auch in der Liebe gerne den Ton an.

 

Die Chance, miteinander zu wachsen

„Das Wissen um den eigenen Hormontyp ist der Schlüssel zum Glück“, ist Helen Fisher überzeugt. Solide Gründer etwa heiraten gern andere Gründer, während Regisseure gegensätzliche Impulse lieben, wie sie beispielsweise Diplomaten mitbringen. „Jede Verbindung hat ihren Zauber, aber auch eigenen Zündstoff und bietet Chancen, miteinander zu wachsen“, sagt Expertin Fisher. Wie praktisch: Mit dieser biologischen Spielanleitung lassen sich demnach auch Konflikte in der Partnerschaft besser bewältigen. Eine Regisseurin demonstriert zum Beispiel Nähe anders als ein Diplomat, obwohl beide im Grunde das Gleiche wollen. Fischer: „Die Aufgabe für die Partner: Unterschiedliche Wesenszüge respektieren, statt sie einander vorzuwerfen“. Die Diplomatin kann vom Regisseur lernen, dass eine Auseinandersetzung die Beziehung nicht unbedingt gefährdet, sondern voranbringt. Eine Single-Gründerin sucht ihren Herzbuben besser auf dem Golfplatz als beim Freeclimbing, während die Diplomatin ihr Herz idealerweise einem Mann schenkt, der mit ihr die Sterne am Himmel zählt.

 

Anna und Max kennen Helen Fishers Theorie nicht. Sie haben mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit noch nichts von Gründern und Entdeckern gehört. Sie leben in derselben Stadt, nicht aber in einer Wohnung. Anna wohnt mit ihrer besten Freundin in einem Altbau, Max teilt seine Wohnung mit zwei Mountainbikes. Anna ist nicht versessen aufs Heiraten; ihre Eltern lebten der Kinder wegen in einer Fake-Ehe. Max ist sowieso ein Eigenbrötler, der die Stille der Wälder liebt. Die beiden setzen auf Gegenwart und gegenseitige Anziehungskraft. Und trotzdem beschleicht sie das Gefühl, irgendetwas stimme nicht mit ihnen.

 

„Jeder, der sich heute auf eine Beziehung einlässt, die ambitionierter und schwieriger scheint als andere, wird als pathologischer Fall angesehen“, schreibt die amerikanische Essayistin Christina Nehring in ihrem Buch „A Vindication of Love“, eine Verteidigung der Liebe. Ein realistisches Liebesmodell löst das romantische ab, sagt sie. Obwohl heute fast alles möglich und gesellschaftlich akzeptiert ist, Männer Männer heiraten und Katholiken Protestanten, Frauen Mütter sein dürfen ohne Mann, und obwohl nur die Liebe zählt, sind die Regeln, wie diese Liebe auszusehen hat, strenger denn je. Sie muss gelingen. Fast so wie ein Business.

 

Hansi Hirsch und Milosz Matuschek, zwei Berliner Anfang 30, nennen das Liebes-Business „lovenomics“ und leben den „ganz normalen Wahnsinn der modernen Liebe“ in Blog-Form auf www.lovenomics.de. Während Hansi die Liebe aktiv sucht, macht sich Milosz darüber so seine Gedanken. In ihrem Manifesto sagen sie unter anderem: „Die moderne Art zu lieben ist ein effizienter Umgang mit der Ressource Emotion. Niemand ist bereit, sich unbefangen der Liebe hinzugeben, wenn das Return-On-Investment nicht gesichert ist.“ Die beiden selbst ernannten Liebes-Experten reden von einer kriterienorientierten Auswahlentscheidung für einen Partner (economics) und deren Anknüpfung an romantische Codes der Alltagskultur (love). Verlieben ist wie ein Shopping-Prozess, Ziel der Einkaufstour: Der Partner ist erworbene Ware und soll Anerkennung, Aufwertung, Stabilität und Identitätsfindung vermitteln. „Das Arbeitsethos hat sich in alle Ritzen der menschlichen Existenz ausgebreitet“, schreibt Laura Kipnis in ihrem Buch „Liebe – Eine Abrechnung“. Sie glaubt nicht, dass man sich mit Arbeit und Mühe Liebe untertan machen kann. „Während einst Schwefel und Höllenfeuer Paare zusammenschmiedeten, erfüllt dies heute der Badezusatz der Persönlichkeitsentwicklung.“

 

Partnerschaft gewinnt die Oberhand

Oft wartet am Ende des Weichspülprogramms dummerweise eine kameradschaftliche Partnerschaft, in der die sexuelle Anziehungskraft nachlässt. Macht aber auch nichts, denn der flüchtige Rausch der Verliebtheit ist vergänglich.

 

Max und Anna sind zusammengezogen. Er hat sich von einem seiner zwei Fahrräder getrennt und Anna geht nur noch einmal im Monat ins Theater. Die neue Wohnung haben sie sich so hübsch eingerichtet wie ihr gemeinsames Leben. Die Eheringe an ihren Fingern glänzen, aber die Augen der beiden haben ihr Leuchten verloren. Ist ihre Liebe an der Nähe gescheitert? Der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar sagt: „In der Liebe ist es besser, nicht eins zu werden, sondern zwei zu bleiben.“ Therapeuten raten, sich an den Anfang zu erinnern: „Liebesmythos“ nennt der Heidelberger Arzt und Psychotherapeut Arnold Retzer die Erinnerung an die erste Zeit, in denen aus zwei Menschen ein Paar wurde: Er stelle – so wie jeder andere Ursprungsmythos – den Zusammenhang zwischen Gegenwart und Vergangenheit her: „Früher bauten Ehen auf gesellschaftlichen Normen und ökonomischen Notwendigkeiten, heute auf die Liebe.“

 

Anna und Max haben sich in der Eisdiele kennengelernt. Sie ist mit einer Riesenportion Erdbeereis direkt in seine Arme gerannt. Er hat gelacht über sein bekleckertes Shirt, sie schmolz dahin. Heiße Liebe nennen die Italiener diese Eis-Spezialität. Anna und Max erzählen die Geschichte vielleicht noch ihren Enkeln – und zum Jahrestag gibt es immer Erdbeereis. Der Liebesmythos dient dazu, die Beziehungsgegenwart vom Schicksal gewollt erscheinen zu lassen. Schlecht könnte es dagegen um Paare stehen, die sich gar nicht mehr daran erinnern können oder wollen, wie es zwischen ihnen begann. Denn mit einem Mythos stirbt meist auch das, wovon er erzählt: die Liebe.

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