Nadelstiche gegen vielerlei Leiden

Ursprünglich stammt die Akupunktur aus der Traditionellen Chinesischen Medizin. Sie wurde aber längst an die westliche Kultur angepasst. Foto:Vincius Tupinamba/Photoxpress.com
Ursprünglich stammt die Akupunktur aus der Traditionellen Chinesischen Medizin. Sie wurde aber längst an die westliche Kultur angepasst. Foto:Vincius Tupinamba/Photoxpress.com

 

SERIE Gemeinsam

 

Akupunkteure an Österreichs Spitälern verringern mit ihren Nadeln den Bedarf an Medikamenten. lebensweise fragte nach, wann sie die schulmedizinische Behandlung sinnvoll ergänzen können, und wann sie lieber westlich geschulten Ärzten das Feld überlassen.

Von Sigrun Saunderson

An Nadeln kommt man im Spital nicht vorbei. Nicht alle davon sind jedoch Injektionsnadeln: Beinahe jedes österreichische Krankenhaus bietet zumindest bei bestimmten Indikationen auch Akupunktur als mögliche Therapie an. „Es gibt beinahe keine Abteilung mehr in einem Krankenhaus, wo Akupunktur nicht gerne gesehen wird. Oft ist es von den Ärzten und Patienten auch erwünscht“, sagt Leopold Dorfer, Grazer Akupunkturarzt und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kontrollierte Akupunktur und TCM (OGKA). Meist beschränkt sich die Anwendung auf die Behandlung von chronischen Schmerzen, wie zum Beispiel in der Akupunkturambulanz am Wiener AKH, Teil der Klinischen Abteilung für spezielle Anästhesie und Schmerztherapie. Die Ärzte hier behandeln hauptsächlich Migräne, Spannungskopfschmerz und Schmerzen des Bewegungsapparates mit den Nadelstichen. Oft neben einer medikamentösen Schmerztherapie, manchmal auch als alleinige Behandlung.

 

Besonders populär ist die Akupunktur, wie alle komplementären Methoden, rund um Schwangerschaft und Geburt. Daher gehört die Geburtsvorbereitung mit Akupunktur an praktisch allen österreichischen Geburtsstationen bereits zum Standard. „Bei uns haben mehr als die Hälfte der Hebammen die Akupunkturausbildung”, erzählt Patrizia Schneider, Hebamme an der Universitätsklinik Innsbruck. Die Gebärenden können sich auf die Expertise der Hebammen verlassen: Ihre Akupunkturausbildung dauert mit 140 Ausbildungsstunden genauso lang wie jene für Ärzte und schließt eine Spezialausbildung für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ein.

 

Bevor sich die Innsbrucker Hebammen der Akupunktur annahmen, kamen nur sporadisch Ärzte mit Akupunkturausbildung in die Geburtenstation. „Da wurden dann oft zehn Frauen gleichzeitig im Turnsaal akupunktiert. Aber eben nicht regelmäßig. Deshalb haben wir vor drei Jahren die Akupunktur-Sprechstunde eingerichtet. Hier können wir uns den Frauen persönlich widmen und die Akupunktur kontinuierlich gewährleisten.”

 

Die Sprechstunde findet zweimal pro Woche statt, um Schwangere mit Nadelstichen auf eine möglichst unkomplizierte Geburt vorzubereiten. „Die Akupunktur im letzten Schwangerschaftsmonat verkürzt die Geburt nachweislich um durchschnittlich zwei Stunden. Zusätzlich stärkt sie die Energie der Frauen und fördert die Verdauung”, weiß Patrizia Schneider. Auch die zum Ende der Schwangerschaft häufigen Schlafstörungen und Rückenschmerzen lassen sich so lindern.

 

Sogar im Kreisssaal packen die Innsbrucker Hebammen auf Wunsch die Akupunkturnadeln aus. „Wenn die Geburtswehen nicht einsetzen oder sich schlecht entwickeln, können wir damit die Wehen fördern. Dadurch braucht man weniger Prostaglandin. Man kann aber auch Akupunktur und Wehenmittel gleichzeitig einsetzen, das eine schließt das andere nicht aus.”

 

Im Geriatriezentrum am Wienerwald ist die Akupunkturambulanz ständig ausgelastet. Die leitende Ärztin Ingrid Babeluk behandelt nicht nur Schmerzen mit Akupunktur, sondern auch Erkrankungen der Atmungsorgane, Verdauungsbeschwerden, Hautkrankheiten, Herz-Kreislaufbeschwerden und Depressionen. „Der Überbegriff Schmerz ist immer eine Indikation für eine Akupunktur-Behandlung. Sehr oft arbeite ich aber auch mit Patienten in der Rehabilitation, zum Beispiel nach Frakturen oder Schlaganfällen.” Alle Patienten, die zur Akupunktur kommen, müssen durch den Stationsarzt schulmedizinisch abgeklärt sein. Bei Babeluk sehen Untersuchung und Diagnose dann ganz anders aus. Sie diagnostiziert den Patienten noch einmal - diesmal mit den Methoden der Traditionellen Chinesischen Medizin. „Ich diagnostiziere und behandle den ganzen Menschen, nicht nur ein einzelnes Symptom. Dadurch kommt es oft zur gleichzeitigen Verbesserung von unterschiedlichen Beschwerden, auch solchen, die gar nicht im Vordergrund der Behandlung standen.” Dabei sei für den Erfolg der Therapie kein Glaube an die Methode nötig. „Mir sind die skeptischen Patienten viel lieber als jene, die sich große Veränderungen erwarten. Skeptiker nehmen auch kleine Verbesserungen eher wahr und sind erstaunt und begeistert.” Schmerzen lassen nach, dadurch können Schmerzmedikamente reduziert werden, die Beweglichkeit verbessert sich, die Stimmung hebt sich, Schlaf- und Verdauungsstörungen vergehen.

 

„Die Nebenwirkungen von Medikamenten sind oft ein großes Thema für meine Patienten und ein wesentlicher Grund, warum sie zu mir kommen. Akupunktur hat praktisch keine Nebenwirkungen, wenn sie richtig durchgeführt wird.”

 

Österreichs wohl größte Akupunkturambulanz liegt im Kaiserin-Elisabeth-Spital in Wien. Sie wird von der Österreichischen Gesellschaft für Akupunktur (ÖGA) betrieben und ist gleichzeitig Lehrambulanz für Ärzte. Jeden Vormittag werden hier rund 40 Patienten behandelt. „Wir können uns der Patienten nicht erwehren”, sagt Primarius Helmut Nissel, Ambulanzleiter und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Akupunktur. Wer sich um einen Termin bemüht, muss derzeit rund ein halbes Jahr darauf warten. „Das liegt auch daran, dass wir hier auf Krankenschein behandeln, was in Österreich einmalig ist.” Üblicherweise vergüten die Kassen eine Akupunktur höchstens zu einem kleinen Teil; je nach Versicherung und Bundesland auch gar nicht.

 

Die Akupunkteure im Elisabeth-Spital behandeln alles, was sich mit Nadeln behandeln lässt. Und da gibt es Grenzen, betont Nissel. „Mit der Akupunktur kann ich nur etwas erreichen, wenn eine Funktion gestört ist. Wenn bereits Substanz zerstört ist, kann ich nur noch Symptome, wie zum Beispiel Schmerzen, lindern, aber nicht mehr die Ursache dieser Symptome beheben.”

 

Aus diesem Grund gibt es im Elisabeth-Spital keine Akupunktur ohne klare schulmedizinische Diagnose. Patienten, die von ihren Ärzten hierher überwiesen wurden, bringen idealerweise sämtliche Befunde bereits mit. Gibt es noch Unklarheiten, werden fehlende Untersuchungen im Haus nachgeholt. „Gerade bei Kopf- oder Rückenschmerzen kann es in manchen Fällen zu fatalen Fehldiagnosen kommen. So kann zum Beispiel hinter Wirbelsäulenbeschwerden sogar ein Herzinfarkt stehen. Akute Kopfschmerzen können auch durch eine ernste Gefäßerkrankung oder einen Gehirntumor ausgelöst werden. Nur wenn solche Erkrankungen ausgeschlossen sind und eine Indikation für Akupunktur gegeben ist, nehmen wir den Patienten auf”, erzählt Nissel.

 

Dennoch lassen sich viele Beschwerden durch Akupunktur zumindest bessern. Die Schmerztherapie ist sicherlich eine ihrer klassischen Anwendungsgebiete. Doch Patienten kommen auch mit Asthma, Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-Erkrankungen, Hautproblemen und psychosomatischen Beschwerden in die Akupunkturambulanz. Bewusstsein für die Grenzen der Akupunktur wird schon in der Ausbildung vermittelt. Die Akupunkturambulanz dient als Lehrambulanz für das angeschlossene Johannes Bischko-Institut, an dem jährlich 160 Ärzte ihre Akupunktur-Ausbildung beginnen. Gleichzeitig widmet sich das Institut bereits seit seiner Gründung 1972 (damals noch Ludwig-Boltzmann-Institut für Akupunktur) der wissenschaftlichen Erforschung der Akupunktur.

 

Nadeln für die Psyche

Dass die Akupunktur auch bei psychischen Problemen helfen kann, darauf weisen einige amerikanische Studien hin, die die Wirkung der Akupunktur bei Depression, Borderline-Störungen und Schizophrenie untersucht haben. Die regelmäßige Anwendung stabilisiert und trägt so zur rascheren Rehabilitation psychiatrischer Patienten bei. Die Landesnervenklinik Graz bietet daher schon seit zehn Jahren ihren Patienten bei Bedarf auch eine Akupunkturbehandlung an. Leiter der dortigen Integrativen Psychiatriestation ist Karl Payer: „Durch die allgemein entspannende und angstlösende Wirkung unterstützt die Akupunktur bei vielen psychischen Erkrankungen.”

 

Die häufigste Anwendung in Payers Station ist eine ganz speziell für Suchtkranke entwickelte Methode der Ohr-Akupunktur nach dem NADA-Protokoll (National Acupuncture Detoxification Association). Dabei werden die fünf Hauptpunkte im Ohr gestochen, die die fünf Funktionskreise der Traditionellen Chinesischen Medizin beeinflussen: Milz, Leber, Herz, Lunge und Nieren. Diese Behandlung wirkt zugleich beruhigend, stärkend und angstlösend. „Ein Abhängiger versucht, einen Spannungszustand mit dem Suchtmittel zu lösen. Die Akupunktur stärkt den Patienten und wirkt entsprechend auf Spannungen, nicht nur bei Abhängigkeitserkrankungen, sondern auch bei Ängsten und Depressionen”, erklärt Payer. Dadurch werden Entzugssymptome gelindert und das Suchtverlangen geringer. Beinahe alle Suchtpatienten der Klinik nehmen an der NADA-Akupunktur teil, die etwa 45 Minuten dauert. Die meisten fühlen sich schon während der Sitzung besser und sind oft nach mehrmaliger Akupunktur leichter für eine Psychotherapie zugänglich.

 

Die NADA-Ohr-Akupunktur eignet sich auch für Menschen, die unter Stress, innerer Unruhe oder Schlafstörungen leiden. Der große Vorteil des Verfahrens: Es ist sehr einfach und rasch ausführbar. „Wir können 25 Patienten innerhalb einer Stunde gleichzeitig behandeln und brauchen dazu nur zwei Pflegepersonen. Das ist effizient und kostensparend und kann auch von Krankenschwestern durchgeführt werden.” Während zwei Akupunkturärzte für umfassendere Behandlungen zur Verfügung stehen, soll an der Grazer Landesnervenklinik nun das gesamte Pflegepersonal in der NADA-Akupunktur ausgebildet werden.

 

In Spitälern offiziell im Programm

Derzeit haben bereits vier österreichische Krankenhäuser die Ohr-Akupunktur in ihr Behandlungsspektrum aufgenommen. Payer erwartet, dass das NADA-Protokoll bald in viel mehr Psychiatrischen Krankenhäusern zur Routine werden wird. Nicht als Allheilmittel, aber als effiziente Unterstützung der Therapie: „Die Akupunktur regt die Selbstheilungskräfte an, kann aber die Psychotherapie oder Medikamente nicht ersetzen. Am besten ist es, wenn die verschiedenen Bestandteile der Therapie einander ergänzen.”            

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Kommentare: 1
  • #1

    DDr. Thomas Ots, Obmann Verein für NaDA-Akupunktur Österreich (Montag, 29 Mai 2017 10:57)

    Vielen Dank für diesen Übersichtsartikel. Als Obmann der NADA-Akupunktur Austria möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Ausbildungen in NADA-Akupunktur (und NADA-Akupressur mittels Magnet-Pflastern für nicht-medizinisches Personal) von unserer Gesellschaft durchgeführt werden, sowohl in Graz wie auch in Wien. Auch inhouse-Ausbildungen sind möglich. Alles weitere findet sich auf unserer Homepage www.nada-akupunktur.at, die auch viele wertvolle Infos zu dieser inzwischen wohl beliebtesten komplementären Therapiemethode enthält.

    Herzlichst
    Thomas Ots
    ots@daegfa.de