Dem Ur-Ayurveda auf der Spur

Karin Preisendanz ist mit ihrem Forscherteam den Urtexten des indischen Ayurveda auf der Spur. Dazu dienen ihr in Sanskrit verfasste Manuskripte. Foto: Universität Wien
Karin Preisendanz ist mit ihrem Forscherteam den Urtexten des indischen Ayurveda auf der Spur. Dazu dienen ihr in Sanskrit verfasste Manuskripte. Foto: Universität Wien

 

Uralte indische Texte des Ayurveda geben nicht nur ein ganzheitliches Denken preis, sondern zeigen bereits eine Auseinandersetzung mit Epidemien und Umweltzerstörung. Auf der Suche nach solchen Wurzeln sind an der Universität Wien die Professorin Karin Preisendanz und ihr Team.

Von Martin Rümmele

Eigentlich ist Karin Preisendanz spezialisiert auf indische Philosophie. Doch die Professorin für Indologie am Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde der Universität Wien hat ein Thema, das sie besonders interessiert: die indische Medizin. Konkret die mehr als 2000 Jahre alte indische Heilkunst Ayurveda als traditionsreichen, ganzheitlichen Ansatz. Seit Jahren beschäftigt sich die in Heidelberg geborene Expertin mit diesem Thema. „Schon bei meiner Dissertation habe ich realisiert, dass frühklassisches Ayurveda eine wichtige Quelle ist und bin so über die Philosophie zur Medizin gekommen“, erzählt die heute 53-Jährige.

 

Die Erzählung über den Ursprung des Ayurveda gebe bereits einige Hinweise zur Rolle des Körpers: „Man begreift ihn in seinem gesunden, natürlichen Zustand als eine der Voraussetzungen für die erfolgreiche Ausführung von Tätigkeiten, wie der Verrichtung von Sühnehandlungen, dem Fasten, dem Studium des traditionellen Schrifttums, dem Einhalten religiöser Gelübde oder einer Lebensführung, die im frommen Trachten nach dem Himmel oder der Erlösung besteht“, erzählt die Professorin Erkenntnisse ihrer Arbeit. Über den Bereich der religiösen Pflichten und der Bemühungen um die Erlösung hinaus erkenne man weiters den gesunden Körper „implizit als Bedingung für den Erwerb des Lebensunterhaltes und für die Erfahrung weltlicher Freuden an.“ Der Körper sei also mehr als nur ein Objekt gelehrter Analyse und Gegenstand des Heilens, „er bildet vielmehr zusammen mit dem Denken und der Seele das Fundament dieser Welt“, sagt Preisendanz und zitiert einen Urtext: „Denken, Seele und Körper – diese drei sind wie ein Dreifuß: Die Welt steht, weil sie miteinander verbunden sind; alles ruht auf ihnen.“

 

Indien selbst war bereits in ihrer Kindheit präsent, erzählt die Forscherin. Sowohl in der Schulzeit wie auch durch die Eltern und Großeltern, die sie zum klassischen Bildungsbürgertum zählt, sei Indien Thema gewesen. „Überhaupt hat Deutschland eine lange Tradition mit Indienstudien, beginnend mit der Romantik. Schopenhauer war Indienfan, ebenso Hegel in den späten Jahren und die Gebrüder Schlegel und Humbolt“, schildert Preisendanz im Gespräch mit der lebensweise. Diese romantische Begeisterung für die Kultur am asiatischen Subkontinent hätte es lange vor den 60er- und 70er-Jahren und den Hippies gegeben. „Schauen Sie, viele unserer Märchen stammen letztlich aus Indien.“

 

Als sie Mitte der 70er-Jahre ihr Studium begonnen habe, hätte es in Deutschland 13 Universitäten mit Professuren für Indologie gegeben. „Das Thema war allgegenwärtig.“ Und das ist es für die Wahlwienerin, die 1999 in die Bundeshauptstadt gekommen ist, geblieben. Und wird es noch einmal verstärkt in den kommenden Jahren, denn Preisendanz und ihr Team  haben nun für ihre Forschung auch Mittel des Wissenschaftsfonds FWF erhalten. Erstmals werden sie eine grundlegende Abhandlung des Ayurveda - der wichtigsten und ältesten medizinischen Tradition Indiens - anhand einiger in Sanskrit verfasster Manuskripte textlich analysieren und historisch ergründen. Konkret fiel die Wahl auf die Carakasamhita: Diese Schrift ist eines der wichtigsten und ältesten Zeugnisse des Ayurveda. Sie ist in acht Bücher gegliedert, welche unterschiedliche Bereiche der Medizin behandeln. Die Komplexität und der Umfang des Werkes verlangen eine schrittweise Analyse der Teile. Preisendanz: „Die Abschnitte behandeln grundlegende Themen für das ayurvedische Denken. Wissen über Anatomie, Embryologie, Pathologie und den natürlichen gesunden Zustand des Menschen wurde ebenso darin aufgezeichnet wie Gedanken über und Wege zur Realisierung der vollen Lebensspanne.“

 

Nach anfänglicher mündlicher Überlieferung wurde der Text der Carakasamhita in seiner fast 2000-jährigen Geschichte immer wieder abgeschrieben. Dabei kam es unvermeidlich zu Veränderungen des Wortlauts, sodass es heute eine Fülle an divergierenden Manuskripten gibt. Welche Teile dieser Textmutationen die ursprünglichen Gedanken am genauesten wiedergeben, ist bis dato unbekannt. Genau dies will Preisendanz nun analysieren. Die Forscherinnen und Forscher bedienen sich dazu unter anderem einer Methode, die im Bereich der Textanalyse innovativ ist - der Evolutionsbiologie: Dort wird die Entwicklung verschiedener Arten aus einem gemeinsamen Ursprung mittels so genannter Kladogramme analysiert. Vereinfacht gesagt sind dies Stammbäume mit jeweils nur zwei Verzweigungen pro Ast. Diese erlauben es, verschiedene Lebewesen aufgrund eines Vergleiches von Merkmalen auf einen gemeinsamen Ursprung zurückzuführen.

 

Diese Methode wurde nun für die Erforschung der Carakasamhita adaptiert. So helfen die Analysen mittels Computerprogrammen dabei festzustellen, was die gemeinsame Quelle der verschiedenen Textversionen war. Auf Basis dieser Analyse und des Einsatzes textkritischer Methoden kann dann das Projektziel verwirklicht werden: die Rekonstruktion einer ursprünglicheren Version der Carakasamhita. Doch für Preisendanz ist es auch wichtig, diese „Ur-Version“ oder „kritische Ausgabe“ in einem weiteren Schritt mit Details zu versehen: Vor allem sollen Einblicke in die Analysemethoden und die Überlieferungsgeschichte des Werkes gegeben werden. Auf der Grundlage der „kritischen Ausgabe“ können dann inhaltliche Untersuchungen zur Geschichte der Medizin, Philosophie, Religion und Kultur Indiens im Spiegel der Carakasamhita durchgeführt werden. Was Preisendanz besonders fasziniert, ist die Aktualität der Texte. Im Rahmen der Forschung untersuche man etwa auch das Thema Epidemien. Schon früh hätten die Menschen in Indien zu erklären versucht, warum es zu solchen Phänomenen kommt. „Natürlich suchte man dahinter einen religiösen Ursprung, es wurde aber auch das Fehlverhalten der Menschen verantwortlich gemacht. Und da gab es bereits viele ökologische Gedanken, wie jener, dass durch das Leiden der Umwelt auch das Gleichgewicht aus der Balance geraten kann.“

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Kommentare: 1
  • #1

    Egbert Richter (Dienstag, 20 September 2016 17:11)

    Wenn man nach der Urversion der Caraka-Samhita sucht, sollte man auch danach forschen, ob es eine Urversion des Rig-Veda gibt. Diese Version könnte mit dem fünften Veda identisch sein, der mit den Texten der Indus-Siegel übereinstimmt,
    deren grammatische Entzifferung mir inzwischen gelungen ist.