Mannsein jenseits aller Klischees

Die Vater-Sohn-Beziehung ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung der Männlichkeit. Und doch wird sie immer seltener gepflegt, sagen Experten. Foto: Kzenon/Fotolia.com
Die Vater-Sohn-Beziehung ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung der Männlichkeit. Und doch wird sie immer seltener gepflegt, sagen Experten. Foto: Kzenon/Fotolia.com

 

Das alte Rollenbild ist weg, ein Neues fehlt. Männer wollen sich in der Gesellschaft neu positionieren. Wie wissen sie noch nicht so richtig. Vorbilder sind rar. In Männerseminaren wird das starke Geschlecht jedenfalls so stark gemacht, dass es auch schwach sein kann. Ohne ihr Selbstwertgefühl zu verlieren.

Von Andreas Feiertag

Inzwischen wird von mir als Mann bereits alles erwartet, außer natürlich Kinder kriegen, was biologisch halt noch nicht funktioniert. Das wird langsam ziemlich viel, eigentlich zu viel.“ Manfred Twrznik erinnert sich noch gut an jenen Teilnehmer seiner Männerseminare, der mit dieser inbrünstigen Klage seine tiefe Resignation über das heutige maskuline Rollenbild zum Ausdruck brachte. „Der neue Mann“, wie er so gerne betitelt wird, hat es nicht leicht. Das mag daran liegen, dass noch immer keiner so recht weiß, wie er denn eigentlich sein sollte.

 

„Seit einigen Jahrzehnten werden die tradierten Rollenbilder sowohl von Frau als auch von Mann sukzessive aufgebrochen, das klassische Konstrukt von Männlichkeit ist heute verloren“, analysiert der diplomierte Erwachsenenbildner, Persönlichkeitstrainer und Buchautor Twrznik: „Aus der Außensicht, der Sicht der Frauen, ist das männliche Rollenbild in einem dramatischen Wandel begriffen.“ Oder vielmehr: Das sollte es sein, denn mit den tradierten Sterotypen seien Frauen alles andere als zufrieden. Aus der Innensicht, also aus dem Blickwinkel der Männer heraus betrachtet, sieht die Sache laut dem Wiener Anbieter von Männerseminaren nicht ganz so einfach aus: „Das alte Rollenbild ist weg, ein neues noch nicht gezeichnet.“

 

Das, was lange Zeit unter Männlichkeit verstanden wurde und teils noch wird, ist sozialgeschichtlich recht jung und eng mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert verknüpft. Dabei kam es zu einem Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Bereich und deren Einschluss in die häusliche Sphäre. Es folgte eine Trennung von Erwerbsarbeit und Familien – beziehungsweise Hausarbeit. Die vermeintliche Natur der Gegensätze diente als Rechtfertigung für die bürgerliche Gesellschaftsordnung und bis in die heutige Zeit als Argumentationslinie der Geschlechterdiskurse. Männlichkeit wurde und wird oft noch immer als die überlegenere Position gesehen und als Ausübung von Macht und Kontrolle, Stärke, Disziplin, Logik, Rationalität, Härte, Erfolg, Ehrgeiz und Besitz verstanden. Weiblichkeit hingegen wurde und wird assoziiert mit Schwäche, Unterwerfung, Unsicherheit, Gefühl, Intuition, Nachgiebigkeit, Häuslichkeit, Rücksicht und Liebe.

 

Wandel vom Matriarchat zum Patriarchat

„Unterstützt und gefordert wurde und wird diese Zuschreibung auch von den beiden großen Weltreligionen Christentum und Islam“, erklärt der Vorarlberger Psychotherapeut Herwig Sausgruber, der sich lange Zeit mit der Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit befasst hat: Die einstige soziokulturelle Matrix der agrarischen Gesellschaft sei das Matriarchat gewesen, völlig logisch abgeleitet aus Natur, in der die Frau Leben gebiert, Nachkommen sichert und damit in Summe das unverzichtbare Glied für die Gesellschaftsstruktur war – auch in Hinblick auf Macht und Leitung. Durch die Verbreitung von Christentum und Islam, bei denen durch das männliche Gottesbild – der Schöpfer, der Leben spendet, wie von Michelangelo auf der Decke des Sixtinischen Kapelle in Rom in der „Erschaffung des Adam“ eindringlich verewigt – genau diese Natürlichkeit ins Gegenteil verkehrt wird, seien die alten Gesellschaftsformen in ein Patriarchat umgewandelt worden.

 

Im Gegensatz dazu, ergänzt Sausgruber, hätten sich in vielen asiatischen Mythologien Gleichwertigkeit und Harmonie von Mann und Frau bis heute gehalten – Darstellungen von Shiva als Frau-Mann-Wesen seien ebenso zu finden wie in der tibetischen Überlieferung die Geburt der Welt aus dem Koitus eines Gottes und einer Göttin dargestellt werde. Hierzulande hätten laut dem Psychotherapeuten erst die zunehmende Säkularisierung und schließlich die starke weibliche Emanzipationsbewegung und der Feminismus zu einem Aufbrechen der tradierten Rollenbilder geführt. Wobei Sausgruber hier eine Differenzierung vornimmt: „Die Emanzipation baute stark auf Imitation von männlichen Attributen und Systemen. Der neue Mann hingegen versucht sich über die von C. G. Jung  als Notwendigkeit betrachtete Kompensation zu definieren. Der neue Mann imitiert nicht weibliche Attribute, sondern ergänzt sich selbst aus weiblicher Sicht.“ Was nicht nur zu einer Veränderung des zugesprochenen Rollenbildes führe, sondern auch zu einem neuen  Selbstverständnis.

 

Wie aber sieht diese Ergänzung aus? Eine der größten und auch die aktuellste Untersuchung zu dieser Frage im deutschsprachigen Raum führte vergangenes Jahr das Heidelberger Sinus-Institut durch. Demnach sehen sich nur noch 23 Prozent aller Männer als „starken Haupternährer der Familie“ und praktizieren überwiegend die traditionalistische Delegation der Hausarbeiten an die Frau. Etwa 14 Prozent aller Männer haben der Studie zufolge das Ich-Ideal vom „Lifestyle-Macho“. Diesen maskulinen, von weiblicher Unterordnung geprägten selbstbewussten Chauvinismus gibt es wie den „Ernährer“ überwiegend in den traditionellen, konservativen Milieus und am unteren Rand der Gesellschaft. Generell hat das Set klassisch-männlicher Eigenschaften bei einem großen Teil der Männer seinen Charme, seinen Leitbildcharakter verloren und ist zum Teil diskreditiert. Besonders markante Attribute wie „Härte“ (32 Prozent) und „Überlegenheit“ (24 Prozent) werden nur noch von einer Minderheit der Männer als sympathisch bewertet.

 

In Familie beziehungsweise Partnerschaft eingebunden

Die wichtigsten Eigenschaften des „neuen Mannes“, zu dem sich auch bereits rund 40 Prozent der maskulinen Bevölkerung zählt, beschreiben den in eine Familie beziehungsweise Partnerschaft eingebundenen Mann, der sich dieser Verantwortung bewusst ist, die Familie gut versorgt und liebevoll für seine Kinder da ist. Klassisch-weibliche Attribute wie „Gefühle anderer verstehen“ (40 Prozent), „Gefühle zeigen“ (42 Prozent) und „Zärtlichkeit“ (44 Prozent) erhalten zunehmend höhere Attraktivität. Allerdings hat diese Erweiterung des Männer(selbst)bildes derzeit noch Grenzen, wie die Heidelberger Wissenschafterinnen rund um Katja Wippermann aufzeigen. Attribute mit starker Konnotation in Richtung Haushaltsarbeit sind für Männer signifikant weniger sympathisch: „Arbeiten im Haushalt erledigen“ (34 Prozent), „eine schöne Atmosphäre schaffen“ (27 Prozent). Aber dies seien laut Studienautorinnen derzeit weiche Grenzen und keine Barrieren mehr.

 

Die Studienergebnisse haben auch einiges an politischer Brisanz. Denn der neue Mann will eine moderne Gleichstellungspolitik, die nicht mehr einseitig Frauenpolitik ist, sondern Gleichstellungspolitik für Frauen und Männer. Er ist motiviert von der selbst gesetzten Forderung, dass moderne Männer und Frauen gemeinsam gegen Strukturen und Alltagskulturen von ungerechter Ungleichstellung angehen und ihre Gleichstellung im eigenen Alltag – trotz widriger Umstände – leben müssen. Was nicht einfach ist: Es erfordert viel persönliche Energie, sich gegen eine ökonomische Rationalität und Praktikabilität zu entscheiden. Zur Stützung und Stabilisierung gleichgestellter Arrangements bedarf es laut Studie gesellschaftlicher Strukturen verschiedener Provenienz: Öffnungszeiten von Kindergärten, Ganztagsschulen, Teilzeitarbeit auch in gehobenen beruflichen Positionen, Lohngleichheit, noch mehr Karenzmöglichkeit für Männer (bei wirtschaftlichem Ausgleich) und eine Erleichterung des beruflichen Wiedereinstiegs von Frauen.

 

Diese Diskrepanz zwischen neuem Männer-Selbstverständnis und Praktikabilität in der heutigen, noch immer patriarchal ausgerichteten Gesellschaft führt oft zu gravierenden Krisen.

 

„In die Männerseminare kommen zu zwei Dritteln Männer, die in einer veritablen Krise stecken“, sagt Coach Manfred Twrznik, „das andere Drittel kommt, um derartige Krisen gar nicht erst entstehen zu lassen.“ Dabei seien die Ursachen der Krisen ebenso vielfältig wie die Milieus und Schichten, aus denen die Teilnehmer kommen. Eines aber hätten alle Männerseminaristen gemeinsam: „Sie sind in der Regel zwischen 30 und 65 Jahre alt, der Großteil ist so um die 45 und alle suchen sie nach sich selbst.“ Und was finden sie während dieser Selbstsuche?

 

Viele individuelle Wege für ihn

„Das ist schwierig zu beantworten, es gibt wohl keinen Standardweg zum neuen Mann, die Pfade dorthin sind individuell und hängen viel von den Lebensumständen und auch von den jeweiligen Partnerinnen oder Partnern ab“, antwortet Twrznik. Da in der heutigen Gesellschaft immer mehr möglich sei, würden auch zusehend neue Wege zu sich selbst beschritten. „Mir geht es primär darum, die Männer stark zu machen.“

 

Dass das starke Geschlecht stark gemacht werden müsse, klinge beim ersten Hinhören zwar etwas seltsam, ist sich der Persönlichkeitsberater bewusst, habe aber seine Wurzeln häufig in einer weit zurück liegenden Lebensphase, die Sigmund Freud seinerzeit in seinem Vater-Sohn-Konfliktmodell augezeigt hat. „Viele Männer wachsen mit einem Mangel an männlichen Vorbildern auf.“ Daher fehlte ihnen oft der Bezug zum Mannsein nicht als Klischee sondern als natürlichem Lebensprozess. Dies mache Männer unsicher zwinge sie in sterotype Rollenbilder. Diese platzen irgendwann auf, der Mann erkenne seine Schwäche, glaube aber gleichzeitig, stark sein zu müssen. Dies führe zu Agression, Depression und zu einer veritablen Krise im Umfeld der Betroffenen.

 

„Laut den Rückmeldungen der Partnerinnen meiner Seminarteilnehmer wünschen sich Frauen auch heute starke Männer - stark jedoch im Sinne von gefestigt, verwurzelt, in sich ruhend. Also müssen Männer stark werden, um auch schwach sein zu können, dies Schwäche auch zeigen zu können ohne dabei aus der Mitte zu gelangen“, erklärt Twrznik.

 

 Daneben würden sich viele Frauen aber auch einen weicheren, gefühlvolleren Mann wünschen, ergänzte kürzlich Psychotherapeut Michael Schreckeis am Männertag der Katholischen Männerbewegung in St. Virgil in Salzburg. „Manche Männer klagen, dass sie nach dieser Veränderung, die ihre Frauen ursprünglich eingefordert hatten, sich nun weniger begehrt fühlen“, berichtete Schreckeis von seinen therapeutischen Erfahrungen.

 

Integration männlicher und weiblicher Aspekte

Auf der einen Seite der „Softie“, der viel Emotion zeigt, auf der anderen ein „echter Kerl“, der aus seiner Gefühlswelt ein Geheimnis macht. Die beiden Herren bekämen nun Konkurrenz, ein neuer Typ von Mann sei nämlich gefragt. „Dieser integriert männliche und weibliche Aspekte“, wie Schreckeis zusammenfasste. Was nicht so einfach sei.

 

Der „Softie“ erfülle zwar sehr stark die Alltagserwartungen des weiblichen Geschlechts, nicht aber dessen Träume. Mit den Veränderungen der Geschlechterrollen würden Männer unterschiedlich umgehen: „Ein Teil verdrängt dies, weil er sich damit nicht auseinandersetzen will oder kann. Eine weitere Gruppe setzt sich hingegen dafür ein, die alten Rollen neu zu etablieren. Und drittens gibt es Männer, die bereit sind, die eigene Geschlechterrolle neu zu gestalten.“

 

Der Psychotherapeut forderte, die Männer sollten endlich aufwachen, sich den Anforderungen stellen, ohne zum „Softie“ zu werden. „Wir müssen unsere Identität neu finden, auch das Wilde in uns integrieren und bändigen und die Verschiedenheit der Geschlechter sehen. Unsere Beziehungen, unsere Sexualität wird dann nicht konfliktfreier, aber ehrlicher und lustvoller“, sagte Schreckeis. Und betonte, dass sich ein neues männliches Rollenbild nicht ohne Veränderung des weiblichen Rollenbildes entwickeln könne - im Sinne einer Harmonie zwischen den beiden Geschlechtern.

 

 

Webtipps:

www.kmb.or.at

www.maennerseminare.at

www.mannsein.at

www.maennersachen.org

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