Burnout: Wege aus der Krise

Illustration: giz/Fotolia.de
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Arbeit macht krank. Bei immer mehr Menschen sagen der Körper oder die Seele Nein zur wachsenden Dauerbelastung. Eine Spurensuche nach den Ursachen und vor allem nach Lösungen. Erschöpfung, Stress und Burnout sind nicht nur neue Volkskrankheiten, die uns und das Gesundheitssystem belasten. In vielen Fällen können sie auch Chancen für einen Neubeginn bieten - auf vielen Ebenen.

Von Martin Schriebl-Rümmele

Ausgerechnet der Chef der Großbank Lloyds nimmt aus gesundheitlichen Gründen eine Auszeit. Die größte britische Filialbank teilte kürzlich mit, Antonio Horta-Osorio sei krank, Ärzte hätten ihm deshalb zu einer Pause geraten. Eine mit dem Schritt vertraute Person sagte, der Vorstandschef sei überarbeitet und deshalb völlig ausgelaugt.

 

Doch Überarbeitung, Stress und Burnout sind keine Managerkrankheit, die jene auszeichnet, die sich besonders um ihren Job bemühen. Laut Europäischer Agentur für Sicherheit und Gesundheit sind europaweit rund 40 Millionen Menschen von Stress betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation spricht bereits von einer „weltweiten Epidemie“. Im Fehlzeitenreport stellt das heimische Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO einen deutlichen Aufwärtstrend bei psychischen Erkrankungen, die oft Folge von Stress sind, fest. Mit 31,4 Tagen lag hier die Krankenstandslänge über dem Durchschnitt von 11,6 Tagen.

 

Die Zahl der Krankenstandstage aufgrund von Burnout und Depression ist in den vergangenen zehn Jahren um beinahe 80 Prozent gestiegen. 900.000 Österreicherinnen und Österreicher sind derzeit in psychiatrischer Behandlung. Sieben Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren - das entspricht etwa 506.000 Personen - leiden oft an Schlaflosigkeit. 40 Prozent liegen zumindest hin und wieder schlaflos im Bett. Das fand das Linzer Meinungsforschungsinstitut IMAS bei seiner Verbraucheranalyse heraus, die österreichweit repräsentativ mit etwa 8.000 Interviews durchgeführt wurde. Und auch die steigende Zahl an Verschreibungen von Psychopharmaka spricht eine deutliche Sprache: Beinahe 100 Millionen Euro werden hierzulande von den Krankenkassen für Antidepressiva und Psychopharmaka ausgegeben.

 

Vollgas mit angezogener Handbremse

Der Begriff „Ausgebrannt sein“ oder „Burnout-Syndrom“ beschreibt einen chronischen Zustand der totalen Erschöpfung, sowohl auf körperlicher als auch emotionaler Ebene. Burnout ist ein Gefühlszustand der Erschöpfung, der meist von zuviel Arbeit und Stress und zuwenig Erholung herrührt. Wörtlich heißt „burn out“ ausbrennen, entsprechend dem Verlöschen einer Öllampe oder einem ausgebrannten Gebäude. Der deutsche Psychologe Wolfgang Schmidbauer findet bei Motorradfahrern eine weitere Definition, die sich gut auf das Krankheitsbild übertragen lässt: „Unter Motorradfahrern bedeutet Burnout den Verschleiß eines Reifens, wenn bei festgehaltener Vorderradbremse so viel Gas gegeben wird, dass das Hinterrad durchdreht und der Pneu sich so stark erhitzt, dass er raucht oder sogar Feuer fängt. So lässt sich ein Reifen in wenigen Minuten „abfahren“, ohne dass der Fahrer einen Meter vorwärts kommt.“

 

Geprägt wurde der Begriff Anfang der 1970er-Jahre durch den deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger. Er beobachtete an sich selbst eine immer stärker werdende, andauernde Erschöpfung. Dann fiel ihm ähnliches an Kolleginnen und Kollegen auf: Die Krankheitstage nahmen zu, nicht selten kam es gar zu völliger Arbeitsunfähigkeit und Frühpensionierungen. Als Ursache erkannte er eine besonders hohe Arbeitsbelastung, verbunden mit einem starken persönlichen Engagement, beides führte zum „Ausgebranntsein“. Er untersuchte vor allem Gesundheitsberufe und stieß schon damals auf die Erkrankung, die er auch als „Erschöpfung durch Mitgefühl“ beschrieb. In internationalen Klassifikationssystemen von Erkrankungen angeführt und damit als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt ist das Burnout-Syndrom aber erst seit kurzem.

 

Nicht immer muss ein Burnout allerdings berufliche Ursachen haben. Es lohnt sich bei der Suche nach Lösungen deshalb eine genaue Betrachtung. Zu den Ursachen des Burnout-Syndroms haben Wissenschaftler verschiedene Thesen aufgestellt, von denen bislang jedoch noch keine bewiesen beziehungsweise widerlegt werden konnte.

 

Eine davon besagt, dass chronische Infekte, Gifte und dauernde Konflikte die Grundlage für das Burnout-Syndrom bilden. Hinzu kommen nicht selten Fehlernährung oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Chronische Infekte sind zum Beispiel Infektionen mit Herpes-Viren, Pilze im Darm (z.B. Candida Albicans) oder auch Infektionen mit Streptokokken. Der Körper bekämpft sie nicht so stark wie er sollte, da sie für ihn nicht so bedrohlich sind wie etwa Scharlach, Masern oder Typhus. Das Immunsystem erlaubt den scheinbar „harmlosen“ Erregern so ein Eigenleben, das sich langfristig aber negativ auf das Wohlbefinden auswirkt.

 

Zudem ist der Mensch tagtäglich von Giften umgeben. Zu den rund 1.600 „Alltagsgiften“ zählen neben dem vieldiskutierten Amalgam, Gifte in Hölzern von Möbeln und Häusern, Gifte in Tapeten, Pestizide und auch Konservierungsstoffe in Lebensmitteln sowie Schwermetalle im Wasser und Ozon in der Luft. Jedes Gift ist für sich genommen in der vorliegenden Dosis nicht schädlich und schon gar nicht lebensbedrohlich. Der Körper verfügt ohnehin über gewisse Filterfunktionen. Aber der ununterbrochene Kontakt mit den unterschiedlichsten Stoffen führt im Laufe der Zeit zur allgemeinen Schwächung des Organismus und des Immunsystems. Experten empfehlen deshalb gerade bei chronischer Müdigkeit, körperliche Erkrankungen oder Mangelerscheinungen sowie Nahrungsmittelunverträglichkeiten auszuschließen.

 

Mangelnde Lebensfreude schwächt das Immunsystem

Ähnlich wie bei Infektionen ist das Prinzip bei chronischen Konflikten. Auch hier sind die Schwierigkeiten für sich genommen nicht unüberwindlich und ließen sich durchaus lösen. Doch werden sie, warum auch immer, nicht aus der Welt geschafft, können sie im Laufe der Zeit die Lebensfreude vernichten, und auch das wirkt sich nachteilig auf das Immunsystem aus.

 

Für die Betroffenen ist es deshalb besonders wichtig, sich genügend Zeit für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu nehmen. Burnout-Coaches, Psychotherapeuten und Mediziner sehen hier ein Hauptproblem: die Krankheit resultiert aus der Unfähigkeit vieler Menschen, Grenzen ziehen zu können. Bis hierher und nicht weiter! Nur wer das „Nein“ wiederentdeckt kann sich selbst schützen. „Schlafmittel, Antidepressiva, Stimmungsaufheller beeinflussen nur die Auswirkungen, nicht aber die Ursachen. Wer seine Ressourcen erkennt und stärkt, erhöht auch seine Widerstandsfähigkeit und lernt dadurch, besser mit Druck umzugehen und sich selbst besser zu schützen“, sagt etwa der Wiener Burnout-Choach Thomas J. Nagy.

 

Für ihn liegt das Problem nicht in einem Zuviel an Arbeit. „Arbeit ist sinnstiftend, Arbeit macht glücklich, doch Fehler in der Organisation, schlechte Firmenstrukturen, Führungsschwächen und mangelhafte soziale Kompetenz können zu einem schlechten Betriebsklima, Mobbing und Burnout führen.“ Anstatt Burnout zu bekämpfen, sollten deshalb unverantwortliche Vorgesetzte, krank machende Arbeitsbedingungen und ausbeuterische Strukturen verbessert werden, fordert der Experte.

 

Die Chance liegt für ihn genauso wie für die Paartherapeuten Sabine und Roland Bösel vor allem in der Ehrlichkeit zu sich selbst, „sich also einzugestehen, ‚ich bin ausgebrannt‘. Der Punkt, wo wir unsere Wahrheit auspacken, wo wir uns mit unserem tiefsten und größten Ängsten und Nöten zeigen, ist nicht das Ende einer Beziehung, sondern meist der Anfang eines Entwicklungsprozesses“, sagen die beiden lebensweise-Fachbeiräte. Oder anders formuliert: der erste Weg zum „Nein“ und zum Grenzensetzen ist ein „Ja“ zu den eigenen Bedürfnissen.

 

Auch komplementäre Methoden können helfen

Helfen können auch komplementäre Methoden wie Akupunktur. Letzteres wurde nun in einer wissenschaftlichen Studie der Medizinuniversität Graz bewiesen. „Fire of life” – keine mystische fernöstliche Heilpraktik, sondern die bildliche Darstellung einer Analyse der Schwankungen des Herzschlages, die strengsten naturwissenschaftlichen Anforderungen genügt, ist die Basis. Gemessen wurde die Herzaktivität über den gesamten Tag mittels eines 24-Stunden-EKG in einer Duppelblindstudie. Nach nur zehn Akupunkturbehandlungen zeigte sich ein deutlich besserer Schlafrhythmus. Das 2007 vom steirischen Zukunftsfonds ins Leben gerufene Forschungszentrum für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) an der Med-Uni und der Karl-Franzens-Universität Graz unter der Leitung von Gerhard Litscher und Rudolf Bauer arbeitet aber noch an anderen Projekten zur besseren Nutzung der Synergien zwischen dem östlichen und dem westlichen Zugang zur Medizin.

 

Ebenfalls Unterstützung bieten homöopathische Behandlungen. Allerdings sind hier vor allem zuerst die individuellen Ursachen zu suchen Zudem bieten sich spagyrische Zubereitungen an, die die Balance von Tag und Nacht, Arbeit und Ruhe wieder ins Gleichgewicht bringen.

 

Zur Vorsicht rät bei der Behandlung von Burnout Christian Werner, Herausgeber des Relax Guide 2012. Für ihn wurden alle 24 privaten Anbieter von Burnout-Kuren in Österreich getestet. Das Ergebnis ist nicht unbedingt nervenschonend: „Die Preise sind oft hoch, die Qualitätsunterschiede eklatant.“ Viele der Betroffenen wollen Werner zufolge möglichst rasch wieder zurück in ihren Job. „Die Versorgung über die gesetzliche Sozialversicherung ist denkbar schlecht“, so der Herausgeber. Viele Betroffene würden daher auf ein privates, meist sehr teures Angebot zurückgreifen. Getestet wurden Sanatorien, Wellnesshotels und Kurhotels. Ausstattung, Ambiente, Küche und der therapeutische Ansatz wurden bewertet und ausführlich beschrieben.

 

„Generell sind die Unterschiede enorm. Das zeigt sich nicht nur bei völlig verschiedenartigen therapeutischen Konzepten ohne einheitliche Standards, sondern auch bei der allgemeinen Infrastruktur, bei Ambiente, Zimmern, Küche und Lage“, kritisiert Werner. Zum Beispiel gibt es Einrichtungen, die an stark befahrenen Straßen liegen: „Wer sich ohnedies in einer heiklen Ausnahmesituation befindet, der sollte umso mehr darauf achten, dass er sich in ein optimales Umfeld begibt.“ Sein Fazit: „Es gibt Scharlatane, aber auch ausgezeichnete Anbieter.“

 

Stark unterschiedlich ist auch das Preisniveau: Mit 800 bis 3.500 Euro muss man pro Woche rechnen. „Teuer heißt jedoch nicht zwingend gut“, sagt Werner, „bei einigen Häusern allerdings werden Betroffene nach der Kur mit Sicherheit sagen können, es sei die wichtigste Investition ihres Lebens gewesen.“

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