„Es ist nie zu spät für eine glückliche Pubertät“

Die lebensweise-Fachbeiräte Sabine und Roland Bösel haben eine besondere Form miteinander zu reden entwickelt und bieten ihren sogenannten Generationendialog nun als Therapeuten an. Ina Schriebl stellte beiden Fragen zur Pubertät und sprach sie dabei als Eltern und Therapeuten an.

lebensweise: Wie durchlebt man die Pubertät gut?

 

Roland Bösel: Die Tochter, der Sohn braucht Halt. Die Jugendlichen brauchen die Möglichkeit, sich an den Eltern zu reiben, wenn ihnen danach ist. Gleichzeitig brauchen die Jugendlichen auch die Erlaubnis, sich mit anderen Menschen auseinander zu setzen, und das Gefühl dabei, dass die Eltern das gut aushalten und sich nicht unter dem Motto „das kannst du alles bei uns zu Hause bekommen“ beleidigt zurückziehen. Die Jugendlichen brauchen auch, dass die Eltern selbst auf ihre eigenen Grenzen achten. Wenn die Tochter oder der Sohn sagt: ,,heute komme ich erst um drei Uhr nach Hause“, aber erst 15 Jahre alt ist, heißt das, dass Eltern auch eine klare Grenze setzen dürfen beziehungsweise sollen. Die Tochter hat das Recht, sich entsprechend aufzubäumen. Dabei ist es wichtig, dass das die Eltern gut aushalten, nicht auf sich beziehen und wohlwollend klar bleiben.

 

lebensweise: Was stärkt Menschen in dieser Lebensphase, was wirkt sich weniger günstig aus?


Sabine Bösel: Stärkend wirkt eine gute Peergruppe, wo nicht untereinander intrigiert wird, sondern wo sich die Jugendlichen austauschen, bereit sind, sich etwas zuzumuten, und gemeinsam neue Abenteuer suchen. Ganz wichtig ist es, dass junge Menschen ihren Körper bewegen. Tägliche Bewegung und Sport sind sehr wichtig. Weniger günstig wirkt es sich aus, wenn die Eltern über das Verhalten des Sohnes oder der Tochter streiten und sich uneinig sind. Noch schlimmer ist es, wenn die Eltern ihre eigenen Beziehungskrisen bei den Jugendlichen abladen. Das ist niemals günstig, doch in der Pubertät, wo der Weg nach außen gesucht wird, braucht die werdende Frau oder der werdende Mann die Sicherheit, dass es zu Hause mit rechten Dingen zugeht. Sie oder er soll nicht das Gefühl haben, dass zu Hause alles zusammen bricht, wenn sie hinaus gehen. Deswegen ist es wichtig, sich rechtzeitig als Paar auf die Pubertät der eigenen Kinder vorzubereiten

 

lebensweise: Was kann man sich unter Ihrem „Generationendialog“ vorstellen?


Roland Bösel: Die Idee zum Generationsdialog hatten wir ,nachdem wir vor vielen Jahren bei der Ausbildung zur systemischen Familientherapie eine Familienaufstellung gemacht haben. Wir waren von der Idee begeistert, etwas Ähnliches zu entwickeln und mit der eigenen Mutter beziehungsweise dem eigenen Vater zu dialogisieren. Seit 2005 bieten wir drei Mal pro Jahr einen Generationsworkshop an, seit heuer im Frühjahr auch Geschwisterworkshops , wo ein erwachsener Sohn oder eine erwachsene Tochter mit Mindestalter von 20 Jahren mit der eigenen Mutter beziehungsweise dem eigenen Vater teilnimmt. Da jede Beziehung zu Vater oder Mutter beziehungsweise zu Sohn oder Tochter einzigartig ist, nimmt man nur mit einem Generationspartner teil. Ich kann also als Sohn oder Tochter nicht mit beiden Elternteilen teilnehmen.

 

lebensweise: Und wie läuft das ab?


Sabine Bösel: In letzter Zeit wird in den Medien immer wieder die Geschichte mit den Wildgänsen zitiert, die in einer Formation fliegen. Man hat erkannt, dass der Energieaufwand durch das gemeinsame Fliegen wesentlich geringer ist. Es werden bis zu 70 Prozent Energie gespart. Ähnlich kann man sich die Situation bei einem Generationsworkshop vorstellen. Wenn zum Beispiel Mütter oder Väter noch keine Erfahrung mit Psychotherapie gemacht haben ,entsteht durch die Gruppe der Eltern eine ganz starke unbewusste Verbindung. Dadurch kann im Zwiegespräch mit der Tochter oder dem Sohn eine viel größere Nähe und Offenheit entstehen. Im Grunde genommen empfehlen wir jedem ,einen Generationsworkshop zu besuchen, solange es möglich ist. Natürlich empfiehlt es sich besonders, wenn die Beziehung bewusst oder unbewusst irritiert ist.

 

lebensweise: Was kann man sich davon erwarten?


Roland Bösel: Wie überall bei psychotherapeutischen Angeboten kann man sich manchmal zu wenig und manchmal zu viel erwarten. Auf jeden Fall entsteht ein neues Bewusstsein in der Generationsbeziehung, manche Altlasten können aufgelöst werden und sowohl für den Elternteil als auch für Tochter beziehungsweise Sohn entstehen neue Entwicklungschancen. In diesem Fall zählt die Erfahrung, denn so individuell wie wir Menschen sind, kann auch die Erfahrung beim Generationsworkshop sein.

 

lebensweise: Was können Sie Menschen, die in der Pubertät sind oder darin verletzt wurden, geben?


Sabine Bösel: Jugendliche, die gerade in der Pubertät sind, brauchen Halt. Es ist gut, wenn sie auch andere Bezugspersonen haben, mit denen sie sich reiben können. Das können gute Pädagoginnen sein, vielleicht der Fußballtrainer oder die Balletttrainerin. Außerdem erzählen wir den jungen Menschen, dass ihre Eltern mit ihnen vielleicht noch einmal ihre eigene Pubertät durchlaufen und dass es gut ist, die Eltern zwar ernst zu nehmen und zu konfrontieren, aber nicht alle Ratschläge zu befolgen, unter dem Motto „Ratschläge sind manchmal die schlimmsten Schläge“. In einem vertrauten Gespräch würden wir den Jugendlichen wahrscheinlich auch mitgeben, dass eine gewisse Vorsicht geboten ist bei Jugendlichen, die im selben Alter sind und vorgeben zu wissen, wie es geht und zum Beispiel erzählen, wie toll sie in der Sexualität sind. Wichtig ist, seinen eigenen Körper kennen zu lernen, seinen eigenen Körper lieb zu haben und sich auch bewusst zu sein, wem man sich anvertrauen möchte. All denjenigen, die in dieser Phase verletzt wurden, geben wir mit, dass es sich auszahlt, die Verletzung noch einmal anzuschauen und welcher Schmerz damals entstanden ist, um diesen mit den jeweiligen Personen aufzulösen. Wenn die Verletzung durch Gleichaltrige passiert ist, braucht es einen lieben Erwachsenen. Das kann Mutter oder Vater sein oder vielleicht auch ein großer Bruder oder eine große Schwester, der oder die einen immer wieder fest in die Arme nimmt. Gut ist es immer, selbstbewusste Erwachsene zu fragen, wie es ihnen in der Pubertät ergangen ist, um daraus zu lernen.

 

lebensweise: Ist es wirklich nie zu spät für eine glückliche Kindheit und Jugendzeit?


Roland Bösel: Unserer Erfahrung nach ist es wirklich nie zu spät. Wir müssen uns allerdings dann auch oft auf schmerzhafte Erfahrungen einlassen, nämlich dann, wenn wir uns die Verletzung noch einmal anschauen. Das ist dann zwar nicht der einfache Weg, aber ein ehrlicher. Wir können jeden Tag das leben, was wir uns wünschen, auch wenn uns durch vieles, letztendlich auch durch den Tod, eine Grenze gesetzt wird.

 

lebensweise: Welche Erinnerung haben Sie persönlich an diese Zeit und wie haben Sie ihre Kinder erlebt?


Sabine Bösel: Wir als Paar sind immer wieder aufs Neue froh , wie unterschiedlich wir die Pubertät erlebt haben. Ich wurde in meiner Pubertät sehr eingeschränkt. Meine Mutter war beleidigt, als ich mich selbstständig gemacht und mich abgenabelt habe. An das Thema eigene Sexualität war gar nicht zu denken. Bei Roland war es genau umgekehrt. Er durfte sich entwickeln, aber seine Familie hat sich nicht sehr dafür interessiert. Wir hätten beide einerseits mehr Unterstützung gebraucht und andererseits mehr Freiheit. Die Pubertät unserer Kinder haben wir sehr unterschiedlich erlebt. Beim ersten Kind war es sicher die größte Herausforderung ,weil wir an unsere eigenen Grenzen gestoßen sind. Doch mit jedem weiteren Kind lernt man dazu und es ist die größte Aufgabe, dem Kind im Leben zur Seite zu stehen und bei aller Liebe klar zu sagen, wenn einem als Eltern etwas gegen den Strich geht.

 

 

 

 

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