„Kinder wollen lernen“

Foto: Lex-Nalis/privat
Foto: Lex-Nalis/privat

Ab welchem Alter sind Kindergärten sinnvoll und welche Aufgaben können sie leisten? Dora Dohr sprach mit der Expertin Heidemarie Lex-Nalis über Bildung im Vorschulalter.

 

lebensweise: Sie setzen sich für eine Reform der elementaren Bildung in Österreich ein. Warum?

 

Heidemarie Lex-Nalis: Ich bin seit 1964 in diesem Feld in unterschiedlichsten Funktionen tätig, besonders in der Aus- und Weiterbildung von Kindergartenpädagogen. Leider erlebe ich auch von den Professionalisten immer noch die Überzeugung, dass der Kindergarten nur die zweitbeste Lösung ist und dass Kinder unter vier Jahren am besten zu Hause betreut und gebildet würden. Doch wir haben Untersuchungsergebnisse, dass gute Bildungsinstitutionen ab dem ersten Lebensjahr die kindliche Entwicklung ungleich mehr fördern, als dies in den meisten Fällen zu Hause möglich ist.

 

lebensweise: Welche wissenschaftlichen Fachrichtungen führten diese Untersuchungen durch?


Lex-Nalis: Untersuchungsergebnisse aus Neuropsychologie, Hirnforschung und Sprachwissenschaften haben gezeigt, dass Kinder ab der Geburt lern- und wissbegierig sind und dass bei Vernachlässigung dieser natürlichen Lernbereitschaft Hirnregionen verkümmern und im späteren Leben mit einem sehr viel höheren Aufwand erst wieder zum Leben erweckt werden können. Am augenscheinlichsten ist dies beim Erlernen der Muttersprache aber auch bei weiteren Sprachen. Wenn wir lauter Eltern hätten, die ihr Gemüse selbst im Garten ziehen oder mit dem Kind zum Markt einkaufen gehen, die sich die Zeit nehmen und mit ihren Kindern die Gemüsesorten benennen, die das Kind nach seinem Vermögen beim Kochen mithelfen lassen, das Kind erleben lassen, woher die Dinge kommen und wie sie funktionieren und auch noch ein soziales Umfeld mit vielen Geschwistern bieten können, dann bräuchte es die Bildungsinstitution nicht. Aber ein solches Umfeld haben nun einmal die wenigsten Kinder. Daher sollte jedes Kind die Chance haben, ab dem ersten Kindergartenjahr den Kindergarten besuchen zu können. Bildung beginnt nicht erst mit fünf oder sechs Jahren, sondern sofort. Die Wissenschaften rund um die Bindungstheorien halten jedoch oft dagegen, weil sie davon ausgehen, dass die wichtigste Lerngrundlage die Bindungsfähigkeit ist und weil bei den derzeitigen Rahmenbedingungen im Kindergarten, das einzelne Kind mit seinen emotionalen Bedürfnissen tatsächlich oft zu kurz kommt.

 

lebensweise: Eltern brauchen die Institutionen aber auch, um ihrem Beruf nachgehen zu können…

 

Lex-Nalis: Ja, der Kindergarten dient dem Kind in seiner Entwicklung, ist aber auch unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Eltern ihren Beruf ausüben können. Ich warne davor, diese beiden Komponenten gegeneinander auszuspielen. In der Elementarpädagogik sind Bildung, Betreuung und Erziehung untrennbar miteinander verbunden. Der Kindergarten ist auch dann eine Bildungseinrichtung, wenn sich Öffnungszeiten und Bring- und Abholzeiten in Kindergärten an den Arbeitszeiten der Eltern orientieren. Daran scheitert der Bildungsauftrag nicht, wohl jedoch an anderen Rahmenbedingungen: Die Anzahl der Kinder in den Gruppen ist viel zu hoch (25 statt 15 bis 20) und auf eine Pädagogin kommen viel zu viele Kinder (1:25 satt wie von der OECD vorgeschlagen 1:3 bis 1:7 je nach Alter) und es gibt noch immer zu viele Einrichtungen, in denen es zu wenig Platz für die in diesem Alter so notwendige Bewegung gibt.

 

lebensweise: Was bedeutet Qualität für Sie und worauf sollten Eltern bei der Auswahl achten?


Lex-Nalis: Am einfachsten sichtbar sind räumliche Gegebenheiten. Eltern können erfragen, ob Zusatzräume, Garten und Bewegungsräume vorhanden sind. Auch die Gruppengröße oder ob eine oder mehrere Kindergartenpädagogen in einer Gruppe tätig sind und wie viele Kinder sich die Aufmerksamkeit der Erwachsenen teilen, ist schnell erfragt. Wie weit die Kinder mit ihren eigenen Lernerfahrungen ernst genommen werden, könnte an der Raumgestaltung gesehen werden. Sind Produkte von Kindern sichtbar, oder sind die Pädagogen immer noch Anhänger der Schaufensterdekorationsphilosophie. Eltern könnten auch beobachten, wie sie in der Bildungseinrichtung empfangen werden. Braucht es eine Terminvereinbarung oder ist es ein offenes Haus. Ich rate Eltern dringend, sich nicht nur an Konzepten und Wandtafeln zu orientieren, sondern vielmehr darauf, wie man mit ihnen und ihren Kindern umgeht.

 

 

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