Wohlfühlbomben auf vier Beinen

Der Mensch ist noch viel zu wenig auf den Hund gekommen. Zahlreiche Studien belegen die positive Wirkung von Tieren besonders auf Kinder. Speziell als eine Art Verhaltenstherapeuten leisten Haustiere Großartiges. Das hat auch das Unterrichtsministerium auf den Plan gerufen.

 

Von Claudia Malonofsky

 

Romana ist vier. Sie ist Autistin, hat größte Probleme, mit der Umwelt zu kommunizieren, redet mit niemandem. Erst Hirtenhund Becsi bricht das Eis. „Wo ist Becsi?“, fragt das Mädchen nach einem halben Jahr tiergestützter Therapie. Es ist der allererste ganze Satz, den Romana je in ihrem Leben ausgesprochen hat.

 

Aber nicht nur autistische Kinder profitieren enorm von Tieren. Auch ganz gesunde tun es. Buben und Mädchen, die mit Hund oder Katze aufwachsen, haben einen Benefit hinsichtlich ihrer geistigen, sozialen und körperlichen Entwicklung. Dem Körper tun vor allem Hunde gut, denn die fordern schließlich zu regelmäßigen Spaziergängen an frischer Luft auf. Hund und Katz‘ machen aber auch einfühlsam: Sie können ihre Wünsche ja nicht mit Worten ausdrücken, „sprechen“ auf andere Art und Weise. So lernt Romana schon früh, Körpersprache besser zu deuten. Auch hinsichtlich nonverbaler Kommunikation sind Kinder mit Haustieren gegenüber tierlosen Altersgenossen eindeutig im Vorteil, fand eine Studie am Institut für Psychologie der Universität Wien heraus. „Kinder, die sich mit Tieren beschäftigen, erkennen die Bedürfnisse und Gefühle von anderen leichter“, sekundiert die klinische Psychologin Birgit Ursula Stetina, die sich seit vielen Jahren mit Anthrozoologie (Mensch-Tier-Beziehung) auseinandersetzt.

 

 

Kinder profitieren aber noch in vielerlei anderer Hinsicht von tierischen Hausgenossen: Sie verleihen internationalen Studien zufolge Selbstvertrauen und fördern das Urvertrauen der jungen Menschen, geben ihnen Sicherheit und das Gefühl, ohne Vorbehalte geliebt zu werden. Vor allem kontaktscheue und gehemmte Kinder blühen durch den Kontakt mit Bello oder Mieze oft richtig auf. Stichwort Kontakt: Tiere sind geniale Kontakteknüpfer zwischen Menschen, echte soziale Katalysatoren. Selbst einer, den viele kennen, der in Österreich einen Namen hat, sagt: „Wenn ich in Wien allein unterwegs bin, spricht mich niemand an, aber wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe, werde ich sehr oft angeredet.“ Das erstaunt den österreichischen Tierforscher Kurt Kotrschal, Präsident von IEMT (Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung) und Leiter der Konrad Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal sowie des Wolfsforschungszentrums in Ernstbrunn, schon lange nicht mehr. Was ihn wirklich überrascht hat, war das Ergebnis eines Projekts in einer ersten Klasse an der Europa-Volksschule in Wien, wo ein Teil des Unterrichts im Beisein eines Hundes durchgeführt wurde. „Ich und andere Wissenschaftler waren vom Ausgang dieser Studie regelrecht verblüfft: Allein die Anwesenheit eines Hundes minderte das Aggressionspotenzial der Schüler signifikant und steigerte deren Aufmerksamkeit. Zudem verbesserte sich das Klassenklima, die Kinder entwickelten mehr Fähigkeit zur Empathie, gingen freundlicher miteinander um und lieber in die Schule.“

 

 

Tiere reduzieren Aggression in der Schule

 

 Der Ausgang dieser Studie war mit ein Grund, dass das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur jüngst als erstes in Europa eine Empfehlung zur tiergestützten Pädagogik an Schulen herausgab. In dem Leitfaden „Hunde in der Schule“ heißt es unter anderem im Vorwort: „Im Umgang mit Tieren können Kinder und Jugendliche ihre personalen und sozialen Kompetenzen unbelastet und zwanglos erproben und verfeinern – bei Tieren sind Trost und Spaß garantiert, emotionale Gespräche und Berührungen nicht peinlich, Geheimnisse gut aufgehoben. Pädagogisch richtig eingesetzt, stellen Hunde eine motivierende Bereicherung für den Unterricht dar, erhöhen die Schulzufriedenheit und verbessern das Klassenklima. Stress wird bei den Schülerinnen und Schülern reduziert, schwierige Kinder sind weniger laut und sozial verträglicher, während ruhige Kinder mehr aus sich herausgehen“. Aber nicht nur Lernerfolge und Schulatmosphäre kann der vierbeinige Klassenkamerad verbessern. „Kinder erleben im Umgang mit dem Tier und in der Reaktion des Tieres eine natürliche Bestätigung beziehungsweise Korrektur ihres sozialen Handelns durch die unmittelbare Spiegelung ihres Verhaltens“, heißt es an anderer Stelle in dem ministeriellen Leitfaden, der im Internet nachzulesen ist (www.bmukk.gv.at/schulen/unterricht/ba/hundeinderschule.xml).

 

Die Diplompsychololgin Andrea Beetz, die am Institut für sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation an der Universität Rostock und am Department für Verhaltensbiologie der Universität Wien lehrt und forscht, ist eine der Fachfrauen, die das Ministerium bei der Erstellung des Leitfadens beraten hat: „Tiere nehmen Kindern auch Angst. Dazu gibt es verschiedene Experimente.“ Eines davon spielte sich beim Zahnarzt ab, wie die Expertin erklärt: Eine Gruppe von Kindern wurde dabei von einem Hund begleitet, eine zweite nur von den Eltern. „Die kleinen Patienten mit dem Hund hatten viel weniger Angst. Vor allem jene, die sich von Haus aus besonders vor dem Zahnarzt fürchteten. Gerade bei besonders ängstlichen Menschen ist der Anti-Angst-Effekt durch Hunde besonders groß“, weiß Beetz. „Das gilt übrigens auch für Erwachsene.“

 

Ein weiteres Faktum gilt für Klein und Groß: Das Kuschel- oder Bindungshormon Oxytozin steigt im menschlichen Körper bei Kontakt mit einem Hund an. Das bringt unter anderem Wohlgefühl mit sich, mehr Entspannung und Vertrauen, es fördert soziale Interaktionen, nimmt Angst und Stress, erhöht die Stimmung und Lebensfreude. Apropos Lebensfreude: Pubertierende, die keinen Tierkumpanen zu Hause haben, hegen doppelt so oft Selbstmordgedanken wie ihre Altersgenossen, die Spaniel oder Samtpfote neben sich wissen – zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Berliner Studie.

 

 

An einer anderen Studie einer Forschergruppe aus Österreich, Deutschland und der Schweiz waren Beetz und Kotrschal beteiligt: Es ging um Kinder mit unsicheren Bindungen. „Wenn solche Kinder Stress oder Angst haben, suchen sie nicht die Nähe von Bezugspersonen wie den Eltern, weil sie glauben und auch erfahren haben, die können ihnen ohnehin nicht helfen. Sie haben also wenig bis gar kein Vertrauen und diese negative Haltung überträgt das Kind auf alle Personen, mit denen es zu tun hat, also auf Tanten, Onkel, Lehrer, Ärzte. 40 bis 50 Prozent der Gesamtbevölkerung haben solche unsicheren Bindungen, die auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben und häufig Probleme in Partnerschaft und Ehe mit sich bringen.“ Kinder mit solchen unsicheren Bindungen wurden in besagter Studie standardisiert unter Stress gesetzt, sie mussten einen Vortrag halten. Eine Gruppe wurde dabei von einem Therapiehund begleitet, eine zweite hatte einen Stoffhund dabei, eine dritte wurde von einer freundlichen Studentin emotional unterstützt. Über Speichelproben wurde dann das Stresshormon Kortisol analysiert. Dazu Beetz: „Kinder in Anwesenheit der Studentin oder des Stoffhundes waren auch nach dem Test noch für längere Zeit gestresst. In der Hunde-Gruppe

 

 dagegen fiel der Wert in der gleichen Zeit sogar unter den Ausgangswert, diese Kinder zeigten insgesamt eine deutlich geringere Stressreaktion.“

 

Auf Tiere, erklärt die Expertin, werde die negative Erwartungshaltung unsicherer Bindungen also anscheinend nicht übertragen, Tiere könnten spontan und effektiv soziale Unterstützung geben und helfen, Stress zu regulieren. „Auch deswegen ist tiergestütze Pädagogik so wertvoll. Das Tier hat hier also im Vergleich mit einem menschlichen Therapeuten gravierende Vorteile, öffnet bei Kindern mit Bindungsproblemen Türen, die Menschen verschlossen bleiben.“

 

Tiere sind also wahre Tausendsassas, was das menschliche Wohlbefinden betrifft. Für die positive Wirkung von Katze und Co. spielt unter anderem die Biophilie-Hypothese eine Rolle: Der Mensch hat ein instinktives, angeborenes Interesse an Tieren, das im Erwachsenenalter verloren gehen kann. Kotrschal: „Man braucht ja nur einmal ein- oder zweijährige Kleinkinder genau zu beobachten. Die fallen fast aus dem Kinderwagen vor Freude, wenn ihnen ein Hund entgegenkommt. Das haben wir in uns.“ Aber, zeigt Kotrschal auf, Hunde seien keine Babysitter, und es gingen schon auch Gefahren für die Kleinen von den Vierbeinern aus. Vor allem, wenn der Hund vor dem Baby im Haus war, da können tierische Eifersuchtsgefühle schon problematisch werden. Da sollte man dem Hund die Situation immer wieder erklären und ihn ruhig am Baby schnuppern lasssen, das Tier entwickelt so recht schnell Beschützerinstinkte.

 

 

Richtiger Umgang ist enorm wichtig

 

 Man sollte umgekehrt aber auch Kinder auf den richtigen Umgang mit dem Hund vorbereiten. „Der Hund muss sich vom Kind wirklich nicht alles gefallen lassen“, betont Kotrschal. Und wer nun der vierjährigen Tochter, dem fünfjährigen Sohn einen Wauwau schenken will, sollte immer bedenken: Kinder können für ein Tier noch nicht die volle Verantwortung übernehmen, die liegt immer bei den Erwachsenen. Und die sollten sich vor Augen führen, dass Katz und Co. zwar unheimlich viel Freude, aber auch viel Arbeit mit sich bringen. Ein Tier braucht ja nicht nur täglich Futter, sondern auch Auslauf, Beschäftigung und saubere Lebensverhältnisse. Daneben sind Fellpflege, Tierarztbesuche, Impfungen und etliches andere nötig. Ordentlich gehalten aber sind Tiere für Kinder (und Erwachsene) Freunde, Therapeuten, Spielgefährten, Trostpflaster, Kameraden, Herzensöffner, Kontaktvermittler, wahre Wohlfühlbomben eben. „Aber nur, wenn man das Tier als Partner betrachtet und behandelt“, betont Kotrschal. Denn das Tier muss sich wohl fühlen, um selbst zum Wohlfühl-Effekt zu werden. Das alles sollte bedenken, wer Perserkatze oder Pudel zum Wohnungsgefährten nehmen will. Und nicht vergessen: Wer ein Tier verschenkt, verschenkt Leben.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0