Bühne ist überall

Amateurtheater und Improvisationstheater können Menschen helfen, mit Situationen aus dem Alltag leichter umgehen zu lernen oder sich auf schwierige Dinge vorzubereiten. Foto: itestro/Fotolia.com
Amateurtheater und Improvisationstheater können Menschen helfen, mit Situationen aus dem Alltag leichter umgehen zu lernen oder sich auf schwierige Dinge vorzubereiten. Foto: itestro/Fotolia.com

  

Theaterspielen ist nicht einfach nur Unterhaltung und Kunst. Theater gibt einem Selbstvertrauen und ermöglicht neue Zugänge. Angewandte Improvisation kann auch in Konflikten und Situationen helfen, die als belastend erlebt werden.

Von Christian F. Freisleben-Teutscher

Schluss mit dem Theater, das Realität nur interpretiert, es ist Zeit, sie zu verändern,“ forderte der vor zwei Jahren verstorbene brasilianische Theaterlehrer Augusto Boal. Ihn interessierte besonders die Situation jener Menschen, die sich aufgrund ihrer sozialen Situation nicht so einfach öffentlich zu Wort melden können. Boals Produktionen wurden deshalb nicht nur in Städten sondern auch in Slums oder den Feldern der Großgrundbesitzer gespielt. Immer mehr wurden dabei Betroffene selbst zu Akteuren. Boal entwickelte das „Theater der Unterdrückten“ - sein Credo dabei: „Jeder Mensch ist ein Schauspieler“.

 

Wir alle haben unterschiedliche Rollen als Mutter oder Vater, als Sohn oder Tochter, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, in unseren Beziehungen. Menschen mit verschiedensten Hintergründen werden bei Boals Theater motiviert, eigene Geschichten, Situationen der Unterdrückung darzustellen – gemeinsam wird nach möglichen Handlungsoptionen gesucht. Schon bald nach der Gründung seines Theaters ging der 1931 geborene Boal in den 60er Jahren nach Europa. „Ein Fokus seiner Arbeit war, mit dem Theater der Unterdrückten Möglichkeiten zu zeigen, wie aus monologischen Unterdrückungssituationen Dialoge werden können. Dies ist sowohl in politischen als auch in privaten Kontexten umsetzbar. In diesem Sinn ist das Private politisch und das Politische auch privat“, analysiert Lisa Kolb-Mzalouet. Die Wiener Theaterpädagogin und Trainerin leitet u.a. seit vielen Jahren einen Lehrgang für Theaterpädagogik und engagiert sich in der Forumtheatergruppe Wiegl (www.wiegl.at). So gibt es etwa ein Stück zum Thema Burn-Out: „Wir kommen auf Symposien oder in Institutionen. Dort spielen wir das Stück. Dann wird das Publikum eingeladen, Vorschläge für alternative Verläufe und Handlungsweisen einzubringen.“ Entweder durch Zurufe oder indem jemand in die Rolle der Hauptperson schlüpft und so Ideen visualisiert.

 

„Es entsteht eine Situation des Miteinander- Lernens, in der alle profitieren.“ Kolb-Mzalouet betont, dass Muster erkenn- und damit veränderbar werden, die in alltäglichen Kommunikationssituationen auftreten können. Menschen setzen sich mit ihren Talenten und Ressourcen auseinander, sie erleben, dass sie Situationen nicht einfach ausgeliefert sind sondern diese mitgestalten können. Ein wichtiges Themenfeld ist auch Gesundheitsförderung und die aktive Wahrnehmung sowie Gestaltung der eigenen Lebenssituation – unterstützt wird der Weg vom Behandelten zum selbstbewusst und möglichst selbstbestimmt Handelnden.

 

Umgang mit Konflikten im Vordergrund

Wichtige Themen von Forumtheater sind zudem der Umgang mit Konflikten, das Setzen von Grenzen, Mobbing oder, wie in einem anderen Stück der Gruppe Wiegl, die Situation der Frauen in einem Unternehmen. Es kann dabei um akute Situationen mit konkreten Personen und um die Veränderung von Strukturen oder Rahmenbedingungen gehen. Forumtheater wird daher immer wieder in Organisationen zur Unterstützung von Veränderungsprozessen eingesetzt. „Bin ich inspiriert, geht alles gut, doch versuche ich es richtig zu machen, gibt es ein Desaster”, formulierte der britische Regisseur, Autor und Theaterdirektor Keith Johnstone. Ende der 50er Jahre begann er in London mit Improvisation im Theaterbereich zu experimentieren. Er baute dabei wie Boal auf jahrhundertealte Wurzeln auf: Jene des griechischen Mimus in dem es immer wieder Anspielungen auf tagespolitische Themen und Personen gab, oder auf die Commedia del arte, Gruppen von Schauspielern, die im Mittelalter von Ort zu Ort zogen und dort mit fixen Figuren improvisierten.

 

Wird heute Improvisationstheater gespielt, tritt ein Spieler an den Bühnenrand, fragt das Publikum nach Inspirationen, wie etwa den Ort der Handlung, eine Beziehung zwischen zwei Menschen, einen Alltagsgegenstand, eine Emotion. Dann wird von fünf auf Null gezählt und es beginnt eine Szene mit einer bis zu sechs Personen mit diesen Eingaben. Zuschauenden fällt es manchmal schwer zu glauben, dass alles im Moment entsteht, Monologe, Dialoge, Gruppenszenen, ja auch Melodien und Liedtexte. Jeder Abend im Improvisationstheater ist eine Premiere.

 

„Im konventionellen Theater wird der Spielende in einer gewissen Weise austauschbar. Wichtig sind Dinge wie Maske, Kostüm, Licht Bühnenbild – die Person rückt eher in den Hintergrund“, erzählt Andrea Schnitt von ihrem Weg zum Improvisationstheater. Die Schauspielerin lebt in Linz und arbeitet auch als Trainerin und Moderatorin. Schnitt liebt auch das konventionelle Theater, ist in verschiedensten Rollen zu sehen und genießt es gleichzeitig, „das kreative Potential, das in jedem von uns, unabhängig von Ausbildung oder Talenten steckt, im Improtheater auszuleben.“ Sie vergleicht es mit Jazz, in dem Musiker bewusst das Improvisieren üben und dann auch umsetzen. In ihren Workshops begegnete Schnitt Menschen aus verschiedensten Berufsgruppen, die berichteten, wie hilfreich das Erfahrene und Gespielte auch im Berufs- und Privatleben ist. So bietet sie nun ebenso Workshops für Personen an, die im Bildungs- oder Sozialbereich tätig sind.

 

Damit ist sie in guter Gesellschaft – inzwischen gibt es auch multinationale Konzerne, die auf Trainer setzen, die mit den Methoden aus der Angewandten Improvisation arbeiten. Es gibt eine große Bandbreite an Methoden, die die Kraft der Intuition sowie Spontanität fördern und nutzen. Je nach Basis- und Zusatzqualifikation jener, die Angewandte Improvisation anbieten, kommen sie aus Feldern wie der Unternehmensberatung, dem Improvisationstheater, Psychotherapie, Lebens- und Sozialberatung, Forumtheater, Psychodrama, Playback-Theater, Coaching oder Akido.

 

Über 25.500 Menschen sind in Österreich in mehr als 1750 Amateurtheatergruppen tätig. Isabelle Supanz vom Österreichischen Bundesverband für außerberufliches Theater (ÖBV Theater) verweist auf eine Studie, in der u.a. die Motive für diese beliebte Freizeitbeschäftigung untersucht werden: Entspannen und abschalten können, nennen viele. Große Bedeutung wird dem Kennenlernen anderer Menschen, dem Zusammenspiel und -sein in einer Gruppe beigemessen. „Gerade am Land sind die Theatergruppen sehr stabil. Zuschauer kommen auch deswegen häufiger, weil sie bestimmte Spieler wieder sehen wollen“, ergänzt Supanz.

 

Alle haben die Fähigkeit, auf der Bühne zu stehen

Als weiteres Motiv wird in der Studie genannt, durch die Beschäftigung mit Theater zu lernen „neue Ideen zu erforschen“, „mein Wissen zu vergrößern“ oder „neue Dinge zu entdecken“. Ebenso ein Motiv ist es, Prestige und Anerkennung zu bekommen. Interessant ist, dass als wichtiges Motiv „besser Theater spielen“ genannt wird. Laut Supanz geht es hier vielfach um das Arbeiten am „Theaterdeutsch“, das vielen Spielern so wichtig erscheint, sicheres Auftreten sowie Tipps und Tricks für die Inszenierung von Stücken. „Wenn mir jemand sagt: ‚Ich kann nicht Theater spielen...‘ sage ich: ‚Probiere es doch einfach aus!‘“ Für Supanz gilt, dass jeder und jede die Fähigkeit hat, auf Bühnen zu stehen und diese auch weiterentwickeln kann.

 

Impulse durch provokante Zugänge

Amateurtheater und freies Theater bringen Impulse: Durch provokante Zugänge wie Straßentheater oder in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung und mit älteren Personen. „Große Bühnen, wie das Landestheater Linz, öffnen ihr Programm inzwischen auch diesen Gruppen, da diese spannende und unkonventionelle Akzente setzen“, freut sich Supanz. Theater zu spielen bringt aus ihrer Sicht auch jedem einzelnen viel: Es gibt Zeit und Raum, sich bewusst mit dem Körper auseinanderzusetzen, aktiv zu sein, es ist ein lustvolles Gedächtnistraining. Es geht darum, sich auf andere einzulassen und von anderen gehört und gesehen zu werden – „Psychohygiene“. Unterstützt wird spontan zu reagieren oder mit einer offenen Haltung abzuwarten, bis jemand anderer fertig gesprochen oder gehandelt hat.

 

 

Buchtipps:

Patricia R. Madson: Unverhofft kommt oft! Entdecken Sie Ihr Improvisationstalent: 13 geniale Alltagsstrategien, Vak-Verlag.

Ralf Schmitt, Torsten Voller: Ich bin total spontan, wenn man mir rechtzeitig Bescheid gibt, Ariston-Verlag.

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