Wellness mit Sinn

Vor 190 Jahren wurde Sebastian Kneipp geboren, jener Deutsche, der die Heilkraft des Wassers propagierte und mit seinen Erfahrungen eine bis heute allgemein beliebte Form von Gesundheitsbehandlung begründete. Foto: Marienschwestern von Karmel
Vor 190 Jahren wurde Sebastian Kneipp geboren, jener Deutsche, der die Heilkraft des Wassers propagierte und mit seinen Erfahrungen eine bis heute allgemein beliebte Form von Gesundheitsbehandlung begründete. Foto: Marienschwestern von Karmel

 

Vor 190 Jahren wurde Sebastian Anton Kneipp geboren. Der spätere Priester und Hydrotherapeut erkrankte im Alter von 28 an Tuberkulose und entdeckte in der Folge über ein Buch die Heilkraft von frischem Wasser. Kneipp heilte sich, indem er mehrfach einige Augenblicke in der eiskalten Donau badetet. Er entwickelte die Therapie weiter, kämpfte gegen eine Klage wegen Kurpfuscherei und wurde zum Vater der modernen Kur.

Von Felicitas Freise

Zugegeben, in der Theorie hört es sich nach Folter an, wenn es im Kneipp-Kurhaus Bad Mühllacken heißt: „Morgenwaschung ab 4.30 Uhr“ Um diese Zeit will mein Körper nichts als kuschelige Bettwärme und seinen Schlaf. Aber dann entpuppt sich das Ritual nicht nur als halb so schlimm wie befürchtet, sondern sogar als erfrischende Wohltat. Leise klopft Schwester Johanna an meine Tür und steht mit ihrem Kübel voll eiskaltem Quellwasser („Das habe ich über Nacht aufs Fensterbrett gestellt, damit es wirklich frisch ist.“) und einem herzlichen „Guten Morgen“ schon neben meinem Bett. Ich richte mich schlaftrunken auf und schlüpfe aus meinem T-Shirt. Sie taucht einen Waschlappen in das kalte Wasser, wringt ihn aus und streicht damit kräftig erst über meinen rechten Arm – vom Handgelenk zur Schulter, erst außen dann innen – dann über den linken Arm, Brust, Bauch und Rücken. Mit einem mütterlichen: „Und jetzt wieder rasch unter die Decke!“ ist sie auch schon wieder verschwunden. Ich streife mein T-Shirt über den nassen Körper, der herrlich prickelt, bevor er mollig warm wird und kuschel mich unter der Decke zusammen. Die ganze Prozedur hat keine zwei Minuten gedauert und ich schlafe danach wie ein Baby und besser als in allen Nachtstunden zuvor.

 

Damit ist die erste Irrmeinung in Bezug auf Kneipp bereits widerlegt. Denn „es ist nicht die Kälte, die heilt, sondern die Wärme, die durch das kalte Wasser erzeugt wird“, wie es Vinzenz Priesnitz, Vorgänger von Sebastian Kneipp und Naturheiler aus Schlesien auf den Punkt bringt. Auch geht es nie bloß um den Reiz, sondern um die Reaktion des Körpers, weshalb die Kneipp-Therapie auch Reaktionstherapie genannt wird.

 

Sämtliche Irrtümer rund um die Methode des Allgäuer Pfarrers kennt Elisabeth Rabeder, Betriebsleiterin des Kneipp-Kurhauses Bad Mühllacken, nur zu gut. „Einer der größten darunter lautet: Kneippen ist kaltes Wasser. Aber nur 20 Prozent der Wasseranwendungen sind kalt, 80 Prozent dagegen warm oder wechselwarm. Und der zweite Irrtum ist, Kneippen heiße ausschließlich Wasseranwendungen. Erst bei einer richtigen Kneipp-Kur wird den Menschen bewusst, was alles Kneipp ist.“ Tatsächlich besteht das Gesundheitskonzept aus fünf Säulen – die erwähnten Wasseranwendungen sowie Ernährungs- und Kräutertherapie, Bewegung und Ordnungstherapie. Nur allen gemeinsam schrieb er gesund machende, erhaltende und stärkende Kräfte zu.

 

Zurück zu den Wasseranwendungen, die am stärksten im allgemeinen Bewusstsein mit Kneipp verbunden werden. Sie sind auch der Grundstein, auf den Kneipp sein Therapiekonzept gründete. Der Pfarrer wurd 1821 im Allgäu in bitterarmen Verhältnissen geboren. Schwere Arbeit und Hunger prägen seine Kindheit, und als es ihm mit Hilfe eines Gönners gelingt, Theologie zu studieren, um Priester zu werden, ist seine Gesundheit bereits stark angegriffen. Zufällig stößt er in der Hofbibliothek auf ein Büchlein mit dem Titel „Unterricht von Kraft und Wirkung des frischen Wassers in die Leiber der Menschheit, besonders der Kranken“ und in seinem Buch „Meine Wasserkur“ schreibt er darüber: „Das Büchlein wurde zuerst der Strohhalm, an den ich mich klammerte; nach kurzer Zeit war es der Stab, auf welchen sich der Kranke stütze.“ Er beginnt mit Bädern an sich selbst zu experimentieren und nach seiner Gesundung heilt er auch seine Mitstudenten mit Wasseranwendungen. 1852 erhält er die Priesterweihe und beschließt, sich nur noch der seelischen Heilung seiner Mitmenschen zu widmen.

 

Doch als zwei Jahre später die Cholera ausbricht, heilt er selbst hoffnungslos Kranke mit seiner Methode, was nicht ohne Folgen bleibt. Er wird vor Gericht geladen, weil er „den Ärzten das Brot entziehe“. Als er in den folgenden Jahren Pfarrer von Bad Wörishofen wird, nimmt die Zahl der Heilungssuchenden weiter zu. Ein geschickter Schachzug bewahrt ihn vor weiteren Klagen. „Kneipp nimmt Ärzte in seinem Kurhaus auf und will dadurch die Klostermedizin mit der Schulmedizin versöhnen. Auch versucht er dadurch, das traditionelle Wissen vor dem Vergessen zu bewahren“, erklärt Gebhard Breuss, Präsident der österreichischen Kneippmediziner. Auf Drängen seiner Befürworter beginnt er auch, seine Erkenntnisse niederzuschreiben und Vorträge zu halten. Der erste Kneipp-Verein wird gegründet und die ersten Kneipp-Nachrichten verbreiten seinen Erfahrungsschatz über die Grenzen Deutschlands.

 

Dem Körper sachte an die Hand gehen

Revolutionär ist an Kneipps Prinzipien eigentlich gar nichts, aber der „Wasserdoktor“ beobachtet genau und zieht die richtigen Schlüsse. Klar erkennt er „Auflösen, Ausleiten und Kräftigen sind die drei Eigenschaften des Wassers“ und nutzt sie für seine Zwecke. Für ihn sind die Ursachen aller Krankheiten Störungen des Blutes – fehlerhafter Blutumlauf oder Giftstoffe im Blut. So umfassen seine Wasseranwendungen daher warme (Dampf-)Bäder, welche Giftstoffe lösen und Wickel sowie Wechsel-Güsse, die die Zirkulation anregen. Kalte Güsse, Waschungen und Bäder, wirken schließlich abhärtend. Physiologisch betrachtet heißt das, nach einem Kaltreiz ziehen sich die Blutgefäße zuerst zusammen bevor sie sich weiten und es zur besseren Durchblutung und Erwärmung kommt. Durch wiederholte Kaltanwendungen lassen sich die Gefäße trainieren, besser auf diesen Reiz zu reagieren und es kommt zur Abhärtung. Untersuchungen haben festgestellt, dass nach mehrmonatigen, regelmäßigen Wechselduschen die Erkältungshäufigkeit um die Hälfte abnimmt. Außerdem wächst die allgemeine Stressresistenz. So werden bei einer Kaltanwendung vermehrt Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. Gewöhnt man den Körper an diesen Kaltreiz, verringert sich die Hormonausschüttung – auch in psychischen Stresssituationen. Eine mehrwöchige Kneippkur zeigt daher auch bei typischen stressbedingten Krankheiten wie Magengeschwüren oder Herzinfarkten guten Erfolg.

 

Abhärtung hin oder her, immer soll sanft vorgegangen werden, wie Kneipp betont: „Wir müssen dem kranken oder geschwächten Organismus sachte an die Hand gehen, nicht streng und stürmisch, ihm bisweilen helfend unter die Arme greifen und sofort von dieser gelinden Mitwirkung absehen, sobald der Körper sich allein weiterzuhelfen weiß.“ Das oberste Ziel bei allen Anwendungen lautet: Wohlbefinden. Damit sich dies einstellen kann, ist eine genaue Kenntnis von Güssen, Bädern und Co wichtig. Schließlich hat Kneipp mehr als 140 verschiedene Wasseranwendungen beschrieben, die je nach Krankheit und Befindlichkeit zum Einsatz kommen. Einige Grundregeln: Jeglicher Kaltreiz darf nur am warmen Körper und auf warmer Haut verabreicht werden. Ist die Haut kalt, muss sie aktiv mit Bewegung oder passiv mit Wasser vorerwärmt werden. Nach jeder Anwendung muss die Haut wieder erwärmt werden. Was laut Kneipp am besten durch Kleidung oder Decken geschieht und nicht durch Abtrocknen: „Denn das Abtrocknen ist ein Reiben und erzeugt, da es unmöglich an allen Stellen auf ganz gleichmäßige Weise geschehen kann, ungleichgradige Hautwärme, was bei Gesunden wenig, bei Kranken oft sehr viel bedeuten kann.“

 

Doch Wasser allein ist bei Kneipp eben nicht alles. Das Rezept für seine eigene Gesundheit lautet: „Neben den fortgesetzten Wasseranwendungen ist es die Art und Weise wie ich mich nähre, wie ich wohne, schlafe und mich kleide, was mir meine vortreffliche Gesundheit bereits durch mehr als vierzig Jahre erhalten hat.“ Er erkennt, dass es verschiedene Faktoren sind, die zusammenspielen müssen, damit Gesundheit und Lebensqualität stimmen. Für die Ernährung empfiehlt er Einfachheit und Mäßigung und stellt Richtlinien in Bezug auf Qualität und Menge auf, die sich weitgehend mit den aktuellen Ratschlägen der Ernährungswissenschafter für eine vollwertige Ernährung decken. Wobei auch hier für ihn gilt: „Bei allem Mäßigkeit, kein Fanatismus.“ Bei der Kräutertherapie greift er auf das Wissen der Klosterheilkunde zurück und gibt in seinen Werken wertvolle Tipps zur inneren und äußeren Anwendung von Engelwurz, Johanniskraut und Co.

 

Elisabeth Rabeder: „Ich vergleiche die fünf Säulen von Kneipp gerne mit den fünf Fingern einer Hand, wobei der Daumen für die Ordnungstherapie steht. Er gibt der Hand Stütze und Halt wie die Spiritualität den Menschen eine Basis in einer Zeit der Überforderung und Reizüberflutung gibt.“ Und Breuss stimmt zu: „Kneipp sagte selbst: „Erst als ich Ordnung in die Seelen meiner Patienten brachte, habe ich bei ihnen Erfolg mit meinen Wasseranwendungen gehabt.“ Unter Ordnungstherapie versteht der Allgäuer Pfarrer neben Ratschlägen für „Work-Life-Balance“ Beten und Beichte, heutzutage abgelöst von Meditation und Entspannungstherapien.

 

Warum Kneippen in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebt, ist für Breuss offensichtlich: „Nach dem Trend des Laissez-faire, der sich durch viele Bereiche unserer Gesellschaft gezogen hat, geht nun der Trend hin zu Bewährtem, Traditionen aber auch Grenzen und geordneten Strukturen. Infolge dessen erlebt Kneipp eine Wiedergeburt, weil er genau das verkörpert. Auch hat man die Erfahrung gemacht, dass Schonung und Verwöhnen nicht alles ist, sondern dass man durch Herausforderung und Training wächst, was ebenfalls Kneippsche Prinzipien sind.“ Die Betriebsleiterin von Bad Mühllacken dazu: „Die Menschen haben genug von den reinen Erholungsangeboten, sie suchen Wellness mit Sinn und das finden sie perfekt bei Kneipp und in der Kombination Hotel-Kurhaus-Kloster.“

 

Mit dem Einsatz natürlicher Dinge wie Wasser, Luft, Erde (bei Heilumschlägen) und Kräutern statt Maschinen entspricht Kneipp perfekt dem aktuellen Hang zur Natürlichkeit und eignet sich dadurch auch hervorragend für den Hausgebrauch. Kneipp selbst schickte die Menschen zum Holzhacken, um ihnen mehr Bewegung zu verschaffen und in Bad Mühllacken lautet die Empfehlung: Geh täglich mit dem Hund, auch wenn Du keinen hast.

 

Der letzte Irrtum in punkto Kneipp heißt: Kneippen ist nur etwas für alte Leute. Dem widersprich Elisabeth Rabeder heftig: „Gerade der kindliche Organismus ist noch sehr empfänglich für Reize und reagiert sehr gut auf Impulse.“ Man könne nicht früh genug beginnen, Kindern die Vorteile des Kneippens näher zu bringen.

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